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Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung (Jena), 24. 7. 1807, Nr. 172, Sp. 161-164 (Antiqua)

„Amphitryon“

DRESDEN, b. Arnold: Heinrich von Kleist’s Amphitryon, ein Lustspiel nach Molière. Herausgegeben von Adam H. Müller. Ohne Jahrzahl. 184 S. 8. (20 Gr.)
In welcher Gestalt ein schöpferischer Dichtergeist sich zeigen mag, immer wird jeder, der reines Sinnes ist, seiner sich mit Innigkeit erfreuen, und mit hingebender Liebe an ihm hangen. Finden wir etwa die Form, in welcher es ihm gefallen hat, sich uns zu offenbaren, nicht angemessen seiner eigenthümlichen Kraft und Wesenheit; scheint sie uns nicht groß und umfassend genug, um seine Idee ganz in sich aufzunehmen und zur vollendeten Anschauung zu bringen: so würde sich zwar noch mancher Wunsch aufdringen, und keine völlige Befriedigung uns zu Theil werden; aber bey dieser Unvollkommenheit spricht gleichwohl der selbstschaffende Geist des Urhebers zu laut und vernehmlich, als daß wir, auf das Vermißte freywillig verzichtend, nicht am Genusse des Schönen, was er darbietet, uns glücklich fühlen sollten. – Zu dieser Betrachtung hat uns dieser neue Amphitryon veranlaßt: die alte Mythe ist vom Dichter, der Idee nach, gänzlich, und zwar auf eine geniale Weise umgebildet und zu einem hohen Standpunct erhoben, aber zugleich in derselben beschränkten Form dargestellt worden, in welcher sie Molière nach der Manier des französischen Theaters bearbeitet hat.
Die natürliche Folge von dieser Bequemung scheint zu seyn, daß nicht sowohl ein ganz neues Product entstanden ist, als vielmehr eine Paraphrase, und eine höhere Deutung des alten, die bey aller Genialität, ihrer Natur nach, nur halb befriedigen kann: es ist als habe der Künstler uns bloß einen vorläufigen Abriß geben wollen von einem großen Werke, das er einst zu vollenden sich vorbehalten hat. Am fühlbarsten ist dieses in der Versöhnungsscene zwischen Jupiter und Alkmene: beym Molière, der sie bloß intriguenartig behandelt hat, leistet sie zur Genüge das Wenige, was sie leisten soll; aber vom deutschen Dichter erwartet man mehr als eine lange, dissertirende Unterredung, man verlangt, den Reichthum und die Fülle von Leben, die hier halb in der Knospe verhüllt liegt, zur vollen Blume entfaltet zu sehen. – Was man zunächst vermißt, ist Einheit in dem durch das Ganze herrschenden Tone. Der zweyte und dritte Act sind von einer so ernsten, und ans Tragische grenzenden Stimmung, daß man nur in den Nebenscenen zwischen Mercur, Sosias und der Charis das Lustspiel finden kann, das allein im ersten Acte eigentlich fühlbar ist. Wollte man dem Ganzen eine komische Ansicht abgewinnen, so könnte es nur durch eine willkührliche Reflexion geschehen, und der Schluß hat zumal einen zu ernsten Charakter, als daß man durch das Werk selbst – wahrhaft komisch angeregt würde. – Wendet man den Blick von diesen Unvollkommenheiten ab, und richtet nun sein Augenmerk lediglich auf das, was der Autor zu erreichen strebte, und was er erreichte: so muß uns seine kühne Originalität mit freudiger Bewunderung, und sein wahrhaft menschliches Gefühl mit inniger Liebe erfüllen. Das Charakterbild, das der Dichter von Alkmenen aufgestellt hat, ist höchst vortrefflich in jedem Zuge, und er durfte es wagen, nachdem am Schlusse der prüfenden Versöhnungsscene auf Jupiters Frage:
Wenn ich, der Gott, dich hier umschlungen hielte,
Und jetzo dein Amphitryon sich zeigte,
Wie würd’ dein Herz sich wohl erklären?
Alkmene die Antwort giebt:
Wenn du, der Gott, mich hier umschlungen hieltest,
Und jetzo sich Amphitryon mir zeigte,
Ja – dann so traurig würd’ ich seyn, und wünschen,
Daß er der Gott mir wäre, und daß du
Amphitryon mir bliebst, wie du es bist,
den Vater der Götter und der Menschen ausrufen zu lassen:
Mein süßes angebetetes Geschöpf!
In dem so selig ich mich, selig preise!
So urgemäß dem göttlichen Gedanken
In Form und Maß, und Sait und Klang,
Wie’s meiner Hand Äonen nicht entschlüpfte!
Wie herrlich ist zu Anfang in der Scene zwischen Alkmenen und Charis, wo sie über die Entdeckung, daß der Namenszug auf dem Gürtel statt des A ein J zeigt, ihren Schreck äußert, die Zuversicht ausgedrückt, mit welcher sie im Amphitryon sich nicht irren zu können glaubt! Da sagt sie:
Eh will ich mich irren in mir selbst!
Eh will ich dieses innerste Gefühl,
Das ich am Mutterbusen eingesogen,
Und das mir sagt, daß ich Alkmene bin,
Für einen Parther oder Perser halten.
Ist diese Hand mein? diese Brust hier mein?
Gehört das Bild mir, das der Spiegel strahlt?
Er wäre fremder mir als ich! Nimm mir
Das Aug, so hör ich ihn; das Ohr, ich fühl ihn;
Mir das Gefühl hinweg, ich athm’ ihn noch;
Nimm Aug’ und Ohr, Gefühl mir und Geruch,
Mir alle Sinn’ und gönne mir das Herz:
So läßt du mir die Glocke, die ich brauche,
Aus einer Welt noch find’ ich ihn heraus.
Mit Entzücken folgt man dem Wechsel der Empfindungen in ihrer schönen Seele, welche der Dichter vor uns vorüberführt. Der verzweifelnde Schmerz, als sie sich betrogen und getäuscht glaubt, die selige Wonne, wenn sie wiederum fest vertrauend der Liebe sich hingiebt, ihr hoher Stolz und ihre fromme Demuth, die Reinheit ihres menschlichen Gefühls, das, sich stets selber treu bleibend, nicht nach dem Übermenschlichen trachtet, und das selbst dem Jupiter bewundernde Verehrung abnöthigt – alles dieses bildet ein so unbeschreiblich schönes Ganzes, daß man durch den Schluß, wo Alkmene, als Jupiter sich offenbart, zwischen dem Gatten und dem Gotte zu unterscheiden gezwungen wird, sich fast verletzt fühlt. Die vorhergehende Stelle, wo sie auf den wahren Amphitryon, der doch ihr Gatte bleibt, schmäht und ihn zornig verstößt, ist kühn gedacht, und sehr gewagt; man sieht, daß dem Dichter nicht die nächste Wirkung, sondern die Idee alles gilt, nach welcher das Irdische vom Göttlichen nie scheiden sollte – und schön ist das überwältigende, unaussprechliche Gefühl von dieser plötzlichen Offenbarung durch Alkmenens einfaches Ach! ausgedrückt, womit das Drama bedeutend schließt. –
Ist die Darstellung des Jupiters eben so vollkommen gelungen, und die schwere Aufgabe, in dem Menschen den Gott der Götter zu zeigen, glücklich gelöst? Wir müssen hieran und überhaupt zweifeln, daß dieses schwierige Problem, sobald das Sinnliche überwiegt, jemals ganz zu lösen sey: der Abstand zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpfe bleibt alsdann eine unendliche Kluft, die sich nicht ausfüllen läßt. – Der alten Mythe vom Amphitryon haftet nun insbesondere eine Sinnlichkeit an, die wohl veredelt, aber nicht völlig vertilgt werden möchte; der Dichter hat sich aufs sinnreichste bemüht, dem Jupiter seinen, mittelst listigen Betrugs erlangten Genuß gleichsam rechtfertigen zu lassen: der Gott sucht das, was er als Mensch entwandt hat, hinterher zu verdienen, und strebt nun, die Liebe, die ihm als Amphitryon wurde, für sich selbst zu erwerben; aber zu seiner Verzweiflung ist all sein Bemühen umsonst. Hierin erblicken wir eigentlich nichts weiter, als das Verfahren eines eigenmächtigen Herrschers, der seine Gewaltthat wieder gut machen will; selbst da ist dieß der Fall, wo er ihr vorwirft, daß sie über der Neigung zu ihrem Gatten die Anbetung der Gottheit versäume. Wenn er, als sie sich schuldig bekennt, sagt:
Er kam, wenn er dir niederstieg,
Dir nur, um dich zu zwingen, ihn zu denken,
Um sich an dir, Vergessene, zu rächen,
und wenn sie hierauf gelobt, in Zukunft in jeder ersten Morgenstunde des Gottes sich zu erinnern, dann aber hinzusetzt, sie wolle ihn jedoch nachher vergessen: so verlieren wir diese fromme Absicht Jupiters bald ganz aus den Augen, denn er zeigt sich sogleich wieder als eifersüchtig auf ihre Liebe, ja als verzweifelnd, da sie seinem Verlangen nicht begegnet, und dann wieder aufs zärtlichste um ihre Neigung flehend. Die Stelle ist so eigener Art, daß sie hier zu stehen verdient:
Jupiter: Du sahst noch sein unsterblich Antlitz nicht,
Alkmene. Ach, es wird das Herz vor ihm
In tausendfacher Seligkeit dir aufgehn.
Was du ihm fühlen wirst, wird Gluth dir dünken,
Und Eis, was du Amphitryon empfindest,
Ja, wenn er deine Seele jetzt berührte,
Und zum Olymp nun scheidend wiederkehrt,
So wirst du das Unglaubliche erfahren,
Und weinen, daß du ihm nicht folgen darfst.
Alkmene. Nein, nein, das glaube nicht, Amphitryon.
Und könnt’ ich einen Tag zurücke leben,
Und mich vor allen Göttern und Heroen
In meine Klause riegelfest verschließen,
So willigt’ ich –
Jupiter. – Wahrhaftig? Thätst du das?
Alkmene. So willigt’ ich von ganzem Herzen ein.
Jupiter. (für sich) Verflucht der Wahn, der mich hieher gelockt!
Alkmene. Was ist dir? Zürnst du? Kränkt ich dich Geliebter?
Jupiter. Du wolltest ihm, mein frommes Kind,
Sein ungeheures Daseyn nicht versüßen?
Ihm deine Brust verweigern, wenn sein Haupt,
Das weltenordnende, sie sucht,
Auf seinen Flaumen auszuruhen? Ach Alkmene!
Auch der Olymp ist öde ohne Liebe.
Was giebt der Erdenvölker Anbetung,
Gestürzt in Staub, der Brust, der lechzenden?
Er will geliebt seyn, nicht ihr Wahn von ihm,
In ew’ge Schleyer eingehüllt,
Möcht’ er sich selbst in einer Seele spiegeln,
Sich aus der Thräne des Entzückens wiederstrahlen, u. s. w.
Am meisten wird noch Jupiter mittelbar, nämlich durch die Ahndungen der Alkmene, daß ihr in der Nacht ein Unsterblicher in der verklärten und erhöheten Gestalt des Amphitryon erschienen sey, als Gott dargestellt; aber als ein solcher erscheint er gleichwohl eigentlich erst am Schlusse des letzten Acts, und man könnte demnach sagen, daß der deutsche Dichter den französischen in dieser Rücksicht, der That und Wirklichkeit nach, nicht übertroffen hat.

Ha. Ha.

Jupiters Frage BKA I 4,91, V. 1561ff.
Da sagt sie BKA I 4,71, V. 1154ff.
sagt BKA I 4,86, V. 1464ff.
Jupiter BKA I 4,87ff., V. 1497ff.
Nach Karl Bulling, Die Rezensenten der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens 1804-1813 (Weimar 1962), 160, ist der Autor Karl F. v. Jariges.

Emendationen
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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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