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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Journal des Luxus und der Moden, Januar 1811, 29-42: IV. Musik und Theater in Berlin (Darin: Zweiter Brief, 36-42; 195 Zeilen); darin: 36-40 (bis Z. 131)

Berliner Theatertumult

Zweiter Brief.

Berlin, den 1. December 1810.
Hier ist leider eine starke Theater-Coalition, die gegen den würdigen Iffland gerichtet ist. Eine Anzahl Schriftsteller, deren Produkte von der Direktion wohl zurückgewiesen werden mußten, weil sie theils zu unsinnig, theils zu seicht waren, hat sich vereinigt, um ihn in allen seinen thätigen und redlichen Schritten für das ersprießlichste Wohl unserer Bühne zu necken, zu stören und zu beunruhigen. Einer dieser Autoren schrieb an Iffland bei Übersendung seines neu gefertigten Trauerspiels: „Er würde ihn bei aller Gelegenheit und nach allen Kräften loben, wenn sein Stück gegeben würde, im Gegentheil ihn ebenfalls nach allen Kräften zerzausen, wenn es verworfen werden sollte, wenn es verworfen werden sollte.“ \1\ Es mußte das Letztere geschehen, und nun zausete dieser nebst Consorten; indessen gieng I. seinen Weg und ließ die Herren – bellen. In der hiesigen Zeitung geschah eine Aufforderung, die Schweizer-Familie, welche auf so manchen Bühnen so sehr gefallen habe, doch auch auf unsern Theater erscheinen zu lassen. Die Oper war lange vertheilt, da diese Aufforderung kam, und wenn sie länger ausblieb, als man vermuthete, so war die Mühe daran Schuld, welche sich I. mit der Schauspielerin gab, welche die Emmeline spielen sollte, denn er wußte wohl, daß nur die Oper in denen Städten gefallen hatte und gefallen konnte, wo diese Rolle in guten Händen war, wie z. B. in Wien Dem. Milder. Dies wollte die Coalition ignoriren. Im Abendblatte, einer Tages-Schrift, wurde die vorgreifende Frage aufgeworfen: „Ob die Direktion Mad. Müller oder Eunicke oder Dem. Schmalz diese Rolle zutheilen würde.“ Darauf wurde, wie natürlich, von der Direktion nicht geantwortet. Nach einiger Zeit wurde von anderer Seite bekannt gemacht, keine von den drei vorgeschlagenen Sängerinnen, sondern Dem. Herbst würde die Rolle spielen. Die Oper wurde gegeben, und Dem. Herbst that sowohl im Gesang als Spiel über alle Erwartung. Man erkannte den Finger des Meisters bei letzterm, und nur Mad. Bethmann würde aus eigenen Kräften die Rolle haben besser geben können. Nach Beendigung der Oper erhoben sich einige Pocher, der allgemeine Beifall aber überstimmte sie, und Dem.Herbst wurde herausgerufen. Da nach einem Polizei-Gesetz das Pochen im Schauspielhause eigentlich verboten ist, so nahm ein Polizei-Officiant einen Pocher fest; das hätte er gekonnt, aber er that einen üblen Mißgriff, indem er den jungen Mann auf’s Theater brachte, um der Schauspielerin Herbst Abbitte zu thun; diese war nicht mehr dort, sondern schon in ihrer Wohnung. Sie wußte selbst nicht, wie sie sich dabei benehmen sollte, aber ohne ihre Schuld schadete es ihr, und brachte den Fall des ganzen Stücks, für die Folge, zu Wege.
Die gedruckte Instruktion, welche der wachthabende Offizier der Bürgergarde bei unruhigen Vorfällen hat, geht dahin, daß er dem Unruhstifter befiehlt, sogleich das Schauspielhaus zu verlassen, und wenn er nicht gehorcht, kann er ihn herausbringen, und nach Befinden, wenn es ein sicherer Mann ist, entweder nur seinen Namen notiren, oder ihn arretiren lassen. Aber von Abbitte, gegen wen es auch sey, ist nirgends die Rede; eigentliche Strafe kann erst nach der Untersuchung Statt finden.
Der junge Mann, welcher verhaftet wurde, war ein Mann von Familie, welcher unter jungen Edelleuten und Offizieren gewissermaaßen rechtmäßige Vertheidiger, doch ohne seine Anregung, fand, weil man sich verkehrt genommen hatte; daher bildete sich eine gewaltige Partie gegen Dem. Herbst, da die Schweizerfamilie für den 26. November wieder angekündigt worden war. Man wußte in der ganzen Stadt schon, daß Pfeifen ausgetheilt worden waren und Pocher ihr Wesen treiben würden. Man nahm heimliche Maaßregeln. Besser wäre es vielleicht gewesen, das Stück ruhen zu lassen. Die Ouverture und die ersten Scenen wurden ruhig angehört, aber so wie D. H. erschien, hieß es: Nun kann’s losgehen, und nun klatschten, pfiffen und trommelten viele durch einander. Die Schauspielerin entfernte sich und man fieng die Scene von neuem an, aber ehe sie noch einen Ton sang, rief ein Spötter Da Capo; jetzt entstand ein allgemeines Gelächter, die Schauspieler mußten aufhören und der Vorhang sank. Wache und Polizei waren indeß in voller Thätigkeit, es wurden viele aufgeschrieben, einige hinausgebracht; auch welche, die sich gegen die National-Garde unhöflich betrugen, arretirt. An der Stelle der Schweizerfamilie, wurden die Geschwister und der Schatzgräber gegeben.
Leider ist es sehr wahrscheinlich, daß wir über diesen Lärm unsern Iffland verlieren. Sein erstes Wort auf dem Theater ist gewesen: Die Pocher werden sie behalten, aber mich nicht, und in allem Ernst hat er seine Entlassung den folgenden Tag begehrt. Wer an seiner Stelle, wenn er sich so behandelt und so verkannt sieht, und so fühlt, was er für das Berliner Theater gethan hat, würde nicht eben so handeln?
Durch den Krieg hat die Bühne, wie jedes große Institut, Schulden machen müssen, das schreibt man ihm zu. Seine Sommerreisen wirft man ihm auch vor. Soll er etwa in der heißen Jahreszeit hier Vergnügen daran finden, vor einem leeren Hause zu spielen, wenn ihn anderwärts ein volles Haus bewundert und eine volle Börse lohnt? Er lebt nicht in so großer Einbildung, daß er nicht weiß, daß man auch das Große gewohnt wird. Kaum aus dem Reisewagen gesprungen, zeigt er sich ja dann wieder neu auf hiesiger Bühne. Oder hat er etwa nicht daran gedacht, daß während seiner Abwesenheit das Publikum Ersatz findet? Werden nicht dann die vorzüglichsten Schauspieler und Sänger zu Gastrollen verschrieben, und sorgt er nicht dadurch auch als Cassen-Verwalter für ein volles Haus? Haben Dem. Schmalz, Hr. Fischer u. a. m., diesen Endzweck nicht erfüllt? Es ist wahr, D. Herbst war von Anfang an als Sängerin ein großer Mißgriff, aber war denn damals in Berlin ein junges Mädchen, welche als Sängerin und Schauspielerin zugleich gebraucht werden konnte? auch ist ihr Contract mit Ostern zu Ende, und dann wird sie hoffentlich, und besonders bei jetziger Crise, die hiesige Bühne verlassen; als Sängerin ist sie authentisch schlecht, und wird auch schwerlich wegen mancherlei Stimmfehler besser werden.
Beendigt ist nun diese Theater-Angelegenheit noch nicht. Es sind Untersuchungen veranstaltet worden, und sogar, wie es heißt, eine Commission niedergesetzt, welche die eigentlichen Unruhestifter ausmitteln soll, die man freilich ziemlich allgemein nennt, welches ich aber nicht nachsagen will.

\1\ Iffland hat diese Äußerung selbst drucken lassen.

Abendblatte] 38. Bl./13. 11. 1810: „Theater-Neuigkeit“
Vorhang] cf. Darstellung in BA 50. Bl./27. 11. 1810: „Theater“ (cf. >> Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), 17. 11. 1810, Nr. 138 (unpag.)
Berliner Theatertumult cf. >> Morgenblatt für gebildete Stände, 18. 12. 1810, Nr. 302. (a:) 1208: Korrespondenz-Nachrichten. Berlin, 28 Nov. (118 Zeilen). – (Z. 41-90). (b:) (Anhang) Nr. 21: Übersicht der neuesten Literatur. 1810 (Darin 83f.: Schöne Redekünste.). – 83f.
>> Nordische Miszellen, 10. 1. 1811, Extrablatt Nr. 2, 21-24: Correspondenznachrichten; darin: 21f.: Berlin, den 1. Januar 1811 (57 Zeilen); (a:) 21f. (Z. 21-33); (b:) 22 (ab Z. 50)
>> Morgenblatt für gebildete Stände, 19. 1. 1811, Nr. 17, 67f.: Korrespondenz-Nachrichten; darin: 67f.: Berlin, 29 Dec. (129 Zeilen); (a:) 68 (Z. 63-65); (b:) S. 68 (110-115)

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