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Miszellen für die neueste Weltkunde (Aarau), 28. 12. 1808, Nr. 104, 413-415

„Die Familie Schroffenstein“, „Der zerbrochne Krug“, „Penthesilea“

Die deutschen Dramen neuester Art.

Der Tod Schillers ließ eine große Leere. Wer füllt seine erhabene Stelle aus? Ihrer viele sind gekommen, aber keiner tröstete die um den Liebling tief betrübte Mutter Germania. Was geben sie uns? Statt warmer Originalität und Natur trockene Karrikatur, welcher man den Schweis der Kunst ansieht, oder Nachahmerei von Styl, Manier und Sylbenmaas. Auch die beste Nachahmung ist zuletzt immer ein Schatten, welcher nur von den Füßen der königlichen Gestalt ausgeht. Die Nachahmung bringt die Kunst um keinen Schritt weiter, als der Fuß des erhabenen Vorbildes ging.
Nur einer schien sich bisher über das nachbetende Volk erheben zu wollen, indem er nach Eigenthümlichkeiten rang, die ihm Natur selbst versagte. Seine Eigenthümlichkeit ist mehr Kunstsache, Neuheit der Manier, und entartet daher oft zur Sonderbarkeit, ohne Seltenheit zu haben. Ich spreche vom Verfasser der Söhne des Thals, der Weihe der Kraft, von Werner, der uns nun wieder eine neue romantische Tragödie in fünf Akten, den Attila, König der Hunnen gab, ein bizarres, wildes Gemälde, mit Salvator Rosa’s Pinsel und Farben aufgetragen.
Es ist möglich, die brennenden Städte, Schlachten, Feldlager, Tänze, Kampfspiele u. dgl. können von der Bühne herab ein herrliches Schaugericht sein, wenn der Decorateur kein Pfuschwerk treibt; aber die prächtigsten Bataillen und Feenschlösser sind immer nur schlechte, entbehrliche Ingredienzien des guten Trauerspiels, wenn kein hoher Geist durch das verworrene Ganze weht, Einheit in die zerstreuten Gruppen bringt, und sie alle und das Gemüth des Zuschauers durch sie bewegt.
Attila, ein roher bis zur Widerlichkeit grausamer Hunne, dem der Dichter, um keinen förmlichen Teufel aus ihm zu machen, noch einige Funken Rechtgefühls ließ, ist die Hauptfigur in dem volkreichen Gemälde. Sein Erscheinen aber zieht nicht an, sondern stößt zurück. Die zweite Hauptfigur ist Hildegunde, die ihn wie ein böser Dämon beständig umschleicht, daß man wirklich glauben muß, sie sei vom Satan besessen. (Der Dichter scheint dies gewollt zu haben, denn zuletzt bringt er Heilige und Wunder des geweihten Kelchs in die Sache hinein, wo man sie am wenigsten erwartete.)
Nachdem diese beiden Unmenschen ihr Sengen, Brennen und Morden von Aquileja bis Rom getrieben, naht sich bei der Belagerung Roms die Katastrophe. Hildegunde wird dem Attila vermählt, und in der Brautnacht ermordet sie erst seinen Sohn, und schlägt ihm dann selbst das Mordbeil, mit dem er einst Hildegundens Liebhaber köpfen ließ, tödtend in die Brust. Die Tragödie ist damit aber noch nicht zu Ende.
Attila hat sich, auf Hrn. Werners Geheis, in die hetrurische Erbfürstin Honoria, ein junges, schönes, passives Mädchen, das er nie weder im Original noch im Bilde gesehen, verlieben müssen – das ist freilich romantisch; aber auch Honoria hat sich in den alten, häßlichen, blutdürstigen Attila, den sie nie gesehen, trotz ihrer Frömmigkeit verliebt – und der Streich ist noch romantischer. Allein das allerromantischste kommt hintennach; der heilige Bischof Leo der mit dem geweihten Kelch in der Hand Armeen zurücktreibt und Teufel bannt, kopulirt in der Geschwindigkeit die beiden Liebenden, die er zusammenführt, unter Mord und Todschlag, und spricht den wüsten Attila und die im Selbstmord gefallene blutdürstige Hildegunde selig, sobald er den bösen Geist von ihnen getrieben durch Anrühren ihrer Stirn mit dem geweihten Kelch.
Kein Zug von Anmuth, Würde, Hoheit, Seelenadel, die uns aus Schillers Gestalten überall anstrahlen, liegt in dieser Schöpfung Werners. Sie ist nichts, als ein dramatisirtes Mönchsmährchen, das, dem bessern Gemüthe fremd, es niemals rührt. Mögen die Herren Romantiker auch den Verstand noch so sehr hassen, sie bessern ihren Handel damit nicht. Was Unsinn ist, und selbst durch des Dichters Magie nicht einmal den täuschenden Schleier des Wahrscheinlichen empfing, wird immerdar entweder ins Lächerliche oder Widerliche ausarten.
Werners Sprache ist bekannt; sie ist nicht die melodische Sprache der Götter, die Göthe und Schiller sprachen, wenn sie dichteten. Selbst wenn die Fürstin Honoria in Sonetten(!) spricht, veredelt sich dadurch nichts. Hr. Werner wollte vermuthlich mit seinem Attila das Problem lösen, wie das weltberüchtigte Fatum verchristlicht werden könne. Er machte sich Marionetten, und zog sie bei den Haaren gen Himmel, während der Teufel die Schuhe behielt.
Nach allem, was Werner bisher geliefert hat, lassen sich von seiner Muse kaum viel höhere Erwartungen nähren. Es mangelt ihm die schöpferische Kraft des Genies, unter deren Zauber sich alle rohe Stoffe verklären. Nicht was man darstellt, sondern wie man darstellt, bezeichnet die Genialität.
Heinrich von Kleist, minder bekannt als Werner (vielleicht zählt ihn das schreiende Heer der Romantik nicht zu ihren Kreuzzugsfahnen), Verfasser einiger dramatischen Versuche, wie die Familie Schrofenstein, der zerbrochene Krug u. s. w. die noch ganz Versuche sind einer ungeübten und ungereiften Kraft, verräth ungleich mehr Originalität und ächtpoetisches Talent, als Werner. Ihm scheint nur noch jene Fülle von Welterfahrung, Menschenkenntniß, jener Schatz mannigfaltigen Wissens zu fehlen, durch deren Benutzung das Genie sich erst verherrlichen kann. – Aus Nichts schafft man nichts. Genie ohne Reichthum vielseitiger Anschauung der Welt und der Kenntnisse, bleibt einseitig und dürftig. Napoleons Geist ward erst bemerkt in der Größe seiner Kraft, da er an der Spitze großer Heere stand; als lebenslänglicher Artillerielieutenant hätte weder die Welt ihn, noch er sich selbst erkannt.
Auch Kleists neuestes Trauerspiel Penthesilea, die Königin der Amazonen, muß nur noch als ein solcher Vorübungsversuch angesehen werden. Aber die Funken eines vielverheißenden Geistes leuchten überall auch in dieser Übung. Er kommt mir wie ein werdender Shakespear vor, der sich in den tragischen Formen des Sofokles bewegen möchte.
Noch mangelt ihm nicht sowohl das Vermögen der Ausschmückung des Einzelnen, als der sicher ordnende Überblick, wodurch alle zerstreute Parthien des Gemäldes ein harmonisches Ganze bilden, welches seiner Wirkung auf das Gemüth gewiß ist. Das Drama ist ein Akkord, in dem kein Ton vergebens angeschlagen werden soll, der nicht verbunden mit allen andern für den Gesammtklang gehört.
Penthesilea ist im Wahnsinn eine Furie, die Abscheu erweckt, statt Grausen. Sie läßt den Achill von ihren Hunden zerreissen, und der Dichter zerriß muthwillig die Theilnahme, welche er zuvor in uns für die wunderbare Amazone entspann. Er beleidigt den Geschmack und empört das Zartgefühl, wo er nur Entsetzen hervorbringen wollte. Das Ekelhafte ist niemals Objekt der schönen Kunst.
Die Sprache dieses jungen Dichters ist sich noch allzuungleich; bald erhaben, bald burlesk; bald einfach, bald mit Bildern überladen. Penthesilea z. B. fährt den Herold Achills, der sie zum Kampf auffordert, mit folgenden Worten an:
Laß dir vom Wetterstrahl die Zunge lösen,
Verwünschter Redner, eh’ du wieder sprichst!
Hört’ ich doch einen Sandblock just so gern,
Endlosen Falls, bald hier, bald dort anschmetternd,
dem klafterhohen Felsenriff entpoltern.
Die Klafterhöhe steht hier mit der Endlosigkeit in schlechter Nachbarschaft. – An einer andern Stelle shakespearisirt die erste Priesterin über eine Thräne, welche die wahnsinnige Penthesilea weint, folgendermaßen:
O! eine Thräne, du Hochheil’ge,
Die in der Menschen Brüste schleicht,
Und alle Feuerglocken der Empfindung zieht,
Und: Jammer! rufet, daß das ganze
Geschlecht, das leicht bewegliche, hervor
Stürzt aus den Augen, und, in Seen gesammelt,
Um die Ruine ihrer Seele weint.
So etwas pflegte man vorzeiten, da man noch auf das sah, was man Geschmack hieß, wohl Schwulst zu heißen. – Aber auch Verirrungen, wie diese, sind dem Kenner nicht unlieb. Shakespear und Schiller vergaßen sich in ihren Erstlingsstücken eben so; der übersprudelnden Fülle läßt sich nehmen, aber der magern Mittelmäßigkeit nichts geben.
Viel nüchterner erscheint der Freiherr von Perglas, Verfasser des Trauerspiels Catilina. Hier kein Funken hoher Genialität, kein schwelgerisches Übermaas von Bildern und Gefühlen. Wir bleiben vom Anfang bis zum Ende in harmloser Ruhe, ungeachtet selbst Cicero’s catilinarische Rede: Quousque tandem abutere, Catilina, patientia nostra, in Jamben uns entgegen tönt:
Du wagst es, Catilina, hier noch zu erscheinen?
Wie lang mißbrauchst du unsere Geduld?
Bis wohin treibt dich deine Zügellosigkeit?
Du achtest nicht die Wachten im Pallaste,
Nicht das Geschrei ergrimmter Völker,
Nicht den Zusammentritt der Guten,
Nicht diesen Göttern selbst geweihten Ort u. s. w.
Der Verfasser des neuen Trauerspiels Johanna die Erste (diese Johanna war eine jetzt ziemlich vergessene Königin von Neapel) hebt sich ebenfalls nicht über die goldene Mittelstraße hinaus. Eine in Jamben eingeschachtelte wortreiche, doch fliessende Prosa erzählt uns Dinge, die am Ende wenig erbauen. Der elenden Geschichte allzugetreu, macht der gutmüthige Verfasser seiner poetischen Gerechtigkeit zuletzt in einer langen Prophezeiung Luft, welche die Selbstmörderin Johanna gegen die meisten Personen um sich her ausspricht. – Lieber lese ich inzwischen noch, als diese Jamben, die Alexandriner, in welchen uns ein Herr Robert des Hrn. Baour-Lormians Omasis oder Joseph in Ägypten aus dem Französischen ungemein glücklich übersetzt hat. Die Rede kann von diesem Drama hier nicht sein, weil es die Frucht eines fremden Bodens, und noch dazu keine der vollkommensten ist. Aber dem Übersetzer gebührt im Vorbeigehen doch ein Dank, daß er es wagte, unser Ohr wieder mit wohllautenden Alexandrinern vertraut zu machen.
Eigentlich nicht von diesem Mittelgute, sondern von Werners und Heinrichs von Kleist Versuchen wollte ich reden. Aber auch von diesen will ich schweigen, um die Aufmerksamkeit meiner Leser einer neuen Erscheinung entgegenzulenken, die einer hohen Theilnahme werth ist. Ich spreche von einem Manne, der schon jetzt mehr ist (nach meinem Gefühl) als Werner und Kleist; genialischer als jener, kraftvoll gewandter als dieser. Dies ist Friedrich Baron de la Motte Fouqué, in welchem, möge meine Weissagung nicht trügen, der deutschen Literatur ein neuer Gewinn aufgeht.
Sein Sigurd der Schlangentödter, ein Heldenspiel in sechs Abentheuern, ist eine der originellsten Dichtungen, welche wir je empfangen haben. Hätten die Deutschen jemals einen Ossian gehabt: so und nicht anders würde er die altnordischen Fabeln erzählt haben. Es ward mir beim Lesen, als hörte ich die Stimmen der fabelhaften Edda. Unbeschreiblich wunderbar ergreift uns die hohe Einfalt der Dichtung – und bei dieser Einfalt, welche Kraft und Klarheit in den verschiedenen Karakteren! Was unsere griechelnden Dichter mit ihrem Fatum Spuk trieben, es erscheint als Tand neben dem Fatum dieser rauhen nordischen Welt. Es erweckt darin alles zum blinden Glauben; alles ist wahrhafter Geist alter Volkssage.
Die Sprache des Dichters ist kraftvoll, aber oft allzuhart, oft dunkel. Gern verzeih’ ich ihm die Dunkelheit, welche eben seinem antiken Bilde noch den Firnis höherer Wahrheit geben kann; aber die Härten der Sprache hätte er überwinden sollen, die Mißtöne meiden, die häufigen Elisionen mindern. Der Sprache Fehler sind nie der Dichtung Schönheiten.
Schwerlich wird Sigurd der Schlangentödter auf deutschen Bühnen sobald gesehen werden; darum nicht minder gebührt unter den neuesten Dichtern Deutschlands dem Baron de la Motte Fouqué der Kranz. Er schwang sich über das Alltagsvolk empor.


Laß dir] 20. Auftr.
Oh, eine Thräne]24. Auftr.

Emendation
Trauerspiels] Trauerspiel J

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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