BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]

Z

Zeitung für die elegante Welt (Leipzig), 19. 6. 1807, Nr. 98, Sp. 777-782: Über die neueste dramatische Literatur. (209 Zeilen); darin: Sp. 777 (bis Z. 8), Sp. 779-782 (ab Z. 82)

„Amphitryon“

Über die neueste dramatische Literatur.

Es ist mir angenehm, mein Freund, mich bei einiger Muße über zwei der neuesten Artikel unserer jetzt so unfruchtbaren dramatischen Literatur mit Ihnen unterhalten zu können. Der eine gehört der tragischen und der andere der komischen Muse an, und jener (beide sind Bearbeitungen) läßt sein Original eben so sehr hinter sich zurück, als es dieser überholt. – Der tragische ist:

<Z. 9-81: „Ugolino Gherardesca’s Fall“ nach Dante und Gerstenberg von C. A. Buchholz.>

Wie erfreulich ist mir nach dem Anfange dieses Briefes der Schluß desselben, der mir noch zu einigen heiteren Worten über ein eben so originelles als reizendes Gedicht, Raum verstattet. Es ist der
Amphitryon von Heinrich von Kleist, ein Lustspiel nach Moliere.
Moliere behandelte die Mythe des Amphitryon in seinem bekannten Lustspiele ganz im Geiste seiner Nazion; d. h. weder antik noch romantisch, sondern frivol und witzig. Dadurch wurden manche Schwierigkeiten dieses Stoffes, die dem romantischen über alles reflektirenden Dichter Hindernisse werden mußten, hinweggeräumt, da die Frivolität auf das frecheste alle Rücksichten verspottet. Dem antiken Dichter, dem Vertrauten der Unsittlichkeiten seiner Götter, war eben deshalb dieser Stoff um so weniger widerstrebend, und nur dem romantischen, der selbst in den heidnischen Götterlehren noch dieGötter achtet, mußte er es wieder werden – obgleich der romantische Mythus in der Hauptsache mit dem antiken zusammentrifft, und nur das Mystische in der Form vor diesem voraus hat. Der Verf. des vorliegenden Schauspieles hat nun (selbst wenn man dasselbe nur oberflächlich betrachtet) durchaus im romantischen Geiste gedichtet, da in den ernsten und scherzhaften Partien die Reflekzion überall gesetzgebend und bildend vorherrscht. Aus diesem Grunde mußte er den Moliereschen Amphitryon denn auch ganz von innen aus umformen und wiedergebären, und es ist höchst interessant, diesem Gesammtprozesse bis auf den Grund zuzuschauen, wo er zuletzt dem Moliere nichts weiter als die Namen der Personen, das Szenarium und die leeren Schalen der Worte überließ, indeß ein neuer Genius als poetische Seele in diesen Körper einzog.
Wenn Moliere den antiken Mythus blos frivol und parodisch behandelte, so führt ihn Kleist in sein ursprüngliches Götterland zurück, und sein Jupiter wird wieder zum olympischen, so wie Alkmene sich zur Mutter eines Gottes verklärt. Nur die kecke Sinnlichkeit des antiken Mythus wurde jetzt demromantischen darüber reflektirenden Dichter ein fast unübersteigliches Hinderniß, und er versuchte, da er es nicht umgehen konnte, es metaphysisch aufzulösen, welchem Versuche wir die ganz hinzugedichtete Szene zwischen Jupiter und Alkmene, im zweiten Akte, verdanken, die eben so treflich, als merkwürdig ist, indem sie zugleich beweiset, daß bei dem höchsten Dichtergenie es dennoch nur einseitig gelingen kann, einen eigenthümlich antiken Gegenstand romantisch darzustellen, und daß die reine Sinnlichkeit jener alten klassischen Werke sich nur durch sich selbst vertreten kann, bei dem Hinüberführen in den Kreis der Reflekzion aber sogleich Gefahr leidet. Man lese z. B. nur folgende Stelle aus der ebengenannten Szene:
Jupiter.
Du wolltest ihm, mein frommes Kind,
Sein ungeheures Daseyn nicht versüßen?
Ihm deine Brust verweigern, wenn sein Haupt,
Das weltenordnende, sie sucht,
Auf ihren Flaumen auszuruhen? Ach Alkmene,
Auch der Olymp ist öde ohne Liebe,
Was gibt der Erdenvölker Anbetung
Gestürzt in Staub, der Brust, der lechzenden?
Er will geliebt seyn, nicht sein Wahn von ihm.
In ew’ge Schleier eingehüllt,
Möcht’ er sich selbst in einer Seele spiegeln,
Sich aus der Thräne des Entzückens wiederstralen.
Geliebte, sieh! So viele Freude schüttet
Er zwischen Erd’ und Himmel endlos aus;
Wärst du vom Schicksal nun bestimmt,
So vieler Millionen Wesen Dank,
Ihm seine ganze Fordrung an die Schöpfung
In einem einz’gen Lächeln auszuzahlen, u. s. w.
Wer trotz dieser zarten Seelenlehre das ganze Verhältniß dennoch als etwas zu delikat verrufen und mit dem Moliereschen Sosias in sein: Le Seigneur Jupiter sait dorer la pilule, einstimmen möchte, – ei nun, dem müssen wir den Machtspruch des französischen Tragikers entgegnen: Les Dieux et les Rois sont au dessus des loix! – In etwas gemildert wird indeß das Ganze durch die Entgegenstellung des sterblichen Amphitryon, dessen Charakter eine gehörige Beimischung von irdischer Rohheit erhalten hat, wie z. B. aus dem Folgenden hervorgeht:
Jupiter.
Du gehst, und rufst, und bringst mir deine Freunde,
Nachher sag’ ich zwei Worte, jetzo nichts.
Amphitryon.
Beim Zevs, da sagst du wahr, dem Gott der Welten!
Denn es ist mir bestimmt dich aufzufinden,
Mehr als zwei Worte, Mordhund, sagst du nicht,
Und bis an’s Heft füllt dir das Schwert den Rachen!
Jupiter.
Du rufst mir deine Freund; ich sag’ auch nichts,
Ich sprech’ auch blos mit Blicken, wenn du willst! u. s. w.
Alkmene ist mit außerordentlicher Zartheit vollendet; beim Jupiter dürfte indeß zu rügen seyn, daß die strengeren Formen des Donnerers sich hin und wieder zu sehr in Apollinische Weichheit aufgelöset haben. –
Was die scherzhaften Partien zwischen dem Merkur, Sosias und der Charis betrifft, so ist darin die witzige Frivolität Moliere’s zum echten komischen Humor gesteigert, und das französische Vorbild auch auf dieser Seite idealisirt. Es sind hier alle Bedingungen zur echten Komik vorhanden, und der Verfasser hat unter den neuern deutschen Dichtern den ersten bedeutenden Beitrag zu einer künftigen komischen Schaubühne geliefert; wobei blos in Hinsicht auf die Selbstständigkeit des Ganzen zu bedauern seyn dürfte, daß das Gedicht nicht zu der reinen, sondern zu der gemischten Gattung gehört, indem die positive und negative Poesie sich darin theilen, dahingegen ein echtes Lustspiel blos auf eine negative Weise das Ideal hervorführt. Eine Vergleichung zwischen der humoristischen Behandlung des Lächerlichen, von Kleist, und der witzigen, von Moliere, dürfte übrigens für die Theorie von großer Fruchtbarkeit seyn, so wie denn der ganze Gegenstand überhaupt der eigentlichen Kritik einen weiten Spielraum eröfnet. –
Der Schluß löset das ganze Gedicht in seiner eigenthümlichen Sphäre auf, und gibt den höchsten Beweis von dem zarten Kunstsinne des Verfassers. Beim Moliere ist er der Anlage des Ganzen nach völlig frivol, und Sosias schließt boshaft genug mit den Worten:
Sur telles affaires toujours
Le meilleur est de ne rien dire
.
Bei Kleist dagegen endet das Gedicht mit dem leisen Ach! der aus ihrer Ohnmacht erwachenden Alkmene – ein Ach von tiefer Bedeutung; wo Unschuld und Sünde in den kleinsten Laut zusammenschmelzen.

Aug. Klingemann

(Wird fortgesetzt.)

kann,] kann. J
Jupiter BKA I 4,88f., 1514ff.
Le Seigneur (…) Amphitryon III 10 (Molière, Oeuvres complètes, ed. Maurice Rat, Paris 1956, Bd. II, 294)
Les Dieux (…) vgl. Corneille, Médée II 3
Jupiter BKA I 4,115f., 1939ff.
Sur telles affaires (…) Amphitryon III 10 (ed. Rat, Bd. II, 295)

[ Z ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]