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Percy Matenko, Tieck and Solger. The Complete Correspondence (New York, Berlin: Westermann 1933), 249-252

Ludwig Tieck an Karl Wilhelm Ferdinand Solger, Ziebingen, 5. 7. 1816

Zibingen, den 5t Juli. 16.
Mein geliebter Freund; vorerst meinen herzlichsten Dank Ihrer liebenswürdigen Frau, die sich für uns bemüht hat, und uns ein so geschmackvolles Geschenk für die Gräfinn übersandt hat, die sich ebenfalls bei der Uebersenderinn bedanken läßt. Der niedliche Ring ist nur für die kleinen Finger zu groß, dem sich aber bald abhelfen läßt. Auch muß ich um Verzeihung bitten, daß ich Ihrer lieben Frau heute nicht selber schreibe, um ihr meinen Dank zu sagen, wie ich schon am vorigen Posttage gethan haben sollte, allein unordentliche Menschen, so wie ich, verliehren leider immer viel von ihrer Zeit, ich werde aber dafür, wenn sie es mir anders erlaubt, in meinem nächsten Briefe ein Blatt an Ihre Frau beilegen, der sich hier alles angelegentlichst empfehlen läßt, unter andern auch sehr dringend (was ich der Frau zur Ehre anrechne, da ich ihr so viel Gefühl nicht zugetraut hätte) die alte Frau v. Burgsdorf, deren ganzes Herz Ihre liebe Frau, zulezt noch durch ihre Krankheit, scheint gewonnen zu haben. Aber alles erinnert sich Ihres nur zu kurtzen Hierseyns mit der größten Freude, von Doro- <250:> thea soll ich Ihnen beiden alles mögliche Gute sagen, was ein junges hingegebenes Gemüth dem älteren auszusprechen nur immer auftragen möchte. In kurtzer Zeit kömmt mein alter Freund, der Regierungsrath Schede, von Pohlen hier durch, und hält sich zwei Tage bei mir auf, durch diesen werden ich Ihnen Ihre Auslage zurück schicke[n], und bitte nur noch einmal, mir die Mühe zu verzeihn, die ich Ihnen verursacht habe. Könnte ich Sie und diesen Schede doch vielleicht einander nähern! Ich habe ihn seit 1794 unausgesezt als einen der edelsten Menschen und als meinen bewährten Freund befunden, sein Gemüth ist schön und allem Guten offen, nur sind seine Gefühle und Gedanken langsam und schüchtern, ohne daß er es weiß, oder so nennt, subordinirt er sich gleich jedem stärkern Geiste, und ist nur zu bescheiden und furchtsam, so daß er sich gewöhnt hat, fast nur der Geduldete, der Entfernte in jedem Umgang zu seyn. Ich habe ihn immer sehr lieb gehabt, und kenne ihn darum mehr, wie die meisten seiner andren Freunde, wenn ich mit ihm ganz allein war, habe ich am besten mit ihm fertig werden können, und habe dann auch von ihm gewinnen können. Etwas haben ihm die überhäuften Arbeiten geschadet; unter gewissen Beschäftigungen leidet ohne Zweifel die elastische Kraft unsres Geistes. Er hält Sie und Ihre Schriften sehr hoch, ob ich gleich nicht glauben kann, daß ihm der rechte Geist darinn aufgegangen ist.
Sie vergessen doch nicht, Liebster, daß Sie mir über Kleist etwas versprochen haben? 1) den Lebenslauf, wohl von anderer Hande, 2) was mir wichtiger ist, etwas von Ihnen selbst, wenn es auch nur Rhapsodieen sind, über seine Schriften, seine Art zu dichten, kurtz, was Ihnen einfällt, und bekannt werden wünschen, ich weiß, daß Sie mir dann erlauben, es auf meine Art zu bearbeiten, es müßte denn seyn, daß es Ihnen gefiele, etwas Zusammenhängendes, eine Abhandlung selbst auszuarbeiten. Sehr freue ich mich auch auf unsre künftigen gemeinschaftlichen Arbeiten, zu welchen ich schon sammle, und oft denke, was für dieses Projekt brauchbar seyn <251:> möchte. Die Absicht der Horen war in Ihrem Unsprunge eine trefliche, sie hatten aber nur auf kurtze Zeit die allgemeine Verwirrung und den sündlichen Kitzel zur revolutionairen Politik gehemmt, auch sanken sie selbst sehr bald: jezt könnte man wohl der Politik und Geschichte nicht mehr so absichtlich aus dem Wege gehn, man müßte suchen, das Böse, Verirrende darinn aufzuhellen. Ich danke Ihnen für Ihren lezten Brief. Ich möchte Ihnen eigentlich recht Vieles schreiben, und hatte es mir auch vorgesezt, aber ich habe unbedacht die Zeit versäumt, und muß es nun, wie so vieles, auf ein andermal aufschieben. Meine Arbeit über Kleist werde ich auf jeden Fall erst Ihrer Critik unterwerfen, ehe ich sie drucken lassen, und ich wünschte wohl, ich könnte dies mit allem thun, was ich schreibe; aber durch mein Aufschieben bin ich oft von den Druckern so gedrängt, daß die Sache nicht länger warten kann. Haben Sie einmal etwas Zeit übrig, so vergleichen Sie doch ein wenig meinen verbesserten zweiten und dritten Theil (diesen vorzüglich) des Don Quixote, und sagen Sie mir Ihr Urtheil, ob es nicht vielmehr Verschlimmerungen sind. Man verliehrt leicht den Standpunkt: oft ist (was Lessing läugnet) der Erste Einfall auch der beste.
Könnten Sie mir nicht bald Ihren dritten Dialog senden? Die andern sollen Sie bald mit einigen Bemerkungen zurück erhalten. Es ist doch wohl ein gutes Zeichen, wenn eine Schrift bei jedem wiederholten Lesen gewinnt. – Können Sie nicht Kleists einzelne Gedichte, die ich noch gar nicht kenne, in Berlin auftreiben? – Der Saly gefällt aller Welt (das Buch von Hegner) auch den ungleichartigsten Leuten, wenn man es ihnen vorliest: ich habe es nun schon dreimal gelesen, und mit demselben Vergnügen, gehn Sie es noch einmal durch, wenn wir es Ihnen zurück schicken, es schien mir, als wenn Sie es zu niedrig stellten. Von der Molkenkur halte ich nicht gar viel.
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Schwiegermutter, sie soll mich nicht eitel machen, und mich in Versuchung führen, ihr <252:> auch einmal einen Brief zu schreiben, da sie aus Artigkeit ein zu großes Gewicht auf meine Briefe legt. Die herzlichsten Grüße Ihrer lieben Gattinn, und Ihren Kindern, die mich noch nicht kennen, empfangen Sie meine freundschaftliche Umarmung, ich bin und bleibe
Der Ihrige
L. Tieck.

H: PSB, folio 40, 4 pp.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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