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Adam Müller, X. Etwas über Landschaftsmalerei, 71-73

X. Etwas über Landschaftsmalerei.

Der Mensch ist mit tausendfältigem Verlangen und unendlichen Begierden ausgestattet, und so in eine Welt gesandt worden, die reich genug sein würde noch viel mehr zu gewähren, als er begehren kann. Jede Gluth des Herzens findet ihren Schatten, jeder Durst seine Welle, jede Sehnsucht ihre Ferne und unzählige, heimliche, fest <72:> beschirmte Zufluchtsstätten sind bereitet für die Seele, welche nach Sicherheit und Ruhe strebt. – Und so werden dann die landschaftlichen Formen im fortschreitenden Leben dem Gemüthe so bedeutend: die Erinnerung an irgend ein schönes Verlangen wird von jedem Baume, jedem Bergeshange leise angeregt, jeder Lichtstrahl, der über die Gegend fällt, scheint ein Orakel mit sich zu führen, und jedes Wolkengewebe ist eine geheimnißvolle Schrift. Wie verschiedenartig nun auch die einzelnen Töne sein mögen, die eine reiche Landschaft in der Brust aufrührt, sie werden doch alle harmonisch verbunden durch einen immer wiederkehrenden Grundakkord. Überall nemlich wo der Mensch wandelt, ist sein Auge so gestellt, daß er das himmlische und irdische Element mit einem Blicke auffassen muß: eine Andeutung für die Seele, daß sie allenhalben desgleichen thue. Das, was dem Menschen unmittelbar umgiebt, seine Hütte, die Bäume seines Gartens, alles dieses erscheint in schroffem Gegensatze fest, deutlich und klar neben dem formlosen, flüßigen Äther; nun hebt sich sein Auge, daß es eine größere Ferne beherrschen kann, und die Umrisse der irdischen Dinge werden weicher, die Farben sanfter: Luft und Erde scheinen zusammen zu fliessen; sie tauschen auch mit lieblicher Vertraulichkeit ihre Plätze: in den Wolken scheint die Erde auf die Seite des Himmels herüberzutreten, in den Seen und Flüssen der Himmel auf die Seite der Erde – und in der weitsten Weite verlieren sich die Grenzen, bleichen die Farben ineinander, was dem Himmel, was der Erde angehöre läßt sich nicht mehr sagen. So erscheint von den schroffen Klippen der Gegenwart betrachtet, dem Menschen seine ferne früheste Kindheit: nahe Verwandtschaft von Himmel und Erde, aber das Gedächtniß jener Tage einfärbig und wie verwittert; so muß ihm auch erscheinen, weil die Ferne den Ursprung und das Ende gleich richtig abbildet, das künftige einsinkende Alter: kein Ineinanderstürzen der Elemente, aber eine sanfte Vermählung. – An diesen Grundakkord nun binden sich alle die einzelnen harmonischen Gefühle, welche die zerstreuten Theile der Landschaft anregen mögen; an diese Weltallegorie unzählige kleine Allegorien und Träume: ein großer göttlicher Gedanke beherrscht und regelt alle die kleinen Vergötterungen, welche der Mensch mit der umgebenden Natur vorzunehmen liebt. – Darum ist die Landschaftsmalerei überhaupt mehr allegorischer als plastischer Natur: sie neigt sich zu den redenden, tönenden Künsten herüber, und wenn die Bildhauerei die Ewigkeit in einen Moment zusammendrängt, so stellt die Landschaftsmalerei sie symbolisch in einer Reihe, ich möchte sagen, in einer Folge von Raummomenten dar. –
Es ist nicht nöthig, daß der von mir angezeigte Grundakkord dem kalten Verstande allemal klar werde; es soll auch nicht gesagt werden, daß die dämmernden Fernen in der Landschaft nie fehlen dürften – genug, die Seele fühlt in Betrachtung der Landschaft ein sanftes Getragenwerden, eine Bewegung, wie von einem unsichtbaren Geiste, durch die das Verweilen bei den anmuthigen Einzelnheiten erst seinen Reiz erhält. – Wie möchte auch die Darstellung einzelner trüber Stimmungen, melancholischer Launen der Natur, der Ungewitter, der Stürme so bezaubernd sein, <73:> wenn dem Gefühl nicht, hier, wie in der Tragödie, etwas dargereicht würde von den Spuren eines über Stimmung und Laune erhabenen Weltgeists.
Unsre Zeitgenossen, entweder weil sie nicht viel auf einmal umfassen können, oder weil ihnen Fachwerk und Zunftzwang zur andern Natur geworden, wünschen die Gaben der Natur und des Menschen einzeln, rund, abgeschlossen in Portionen ausgebacken, die Wissenschaft einzeln und so die Kunst und die Religion: sonst würde ich ihnen aus meinen Prämissen beweisen, daß auch das innerste Wesen der Landschaftsmalerei etwas religiöses sei. Da müßte aber erst auf Einheit und Einfalt des Gefühls im Publikum gerechnet, und nicht die bloße Stimmung, die sentimentale Rührung von der Composition, und nicht die bloße süßliche Erinnerung an schöne Plätzchen und Stunden und Reisen von der Veduta des Landschaftsmalers verlangt werden.
Aber wer möchte solchen Bemerkungen irgend einen Einfluß auf den öffentlichen Kunstgeschmack zutrauen: die heutigen Käufer betrachten die Bilder einmal wie souvenirs: auf dem Markte werden Portraits und Prospekte begehrt; das übrige läßt man sich gefallen, recensirt es und geht vorüber.

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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