BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ PHÖBUS(5) ]

[ ]

 

Adam Müller, VI. Kunstkritik, 42-44

VI. Kunstkritik.
An die Leser des Phöbus.

Es ist Dir, wenn Du so bist, wie wir Dich wünschen, wenig daran gelegen, daß Dir über Werke der Kunst, welche Du selbst betrachten und empfinden kannst, von uns vorgeurtheilt werde. In wiefern Du Dich eines eigenthümlichen Sinnes erfreust, wirst Du den Geruch der Rose lieber selbst empfinden, als eine Beschreibung desselben lesen wollen, wirst Du Deine Liebschaften in der Literatur und Kunst lieber selbst mit freier Neigung anknüpfen, als sie, durch fremdes Urtheil und fremde Empfehlung gebunden, aus zweiter Hand empfangen. Wenn Du alles hassest, was Dir Gefühle aufdringen und Genüße einreden will, wenn Du nichts mehr liebst, als Deine und aller Gerechten und Guten Freiheit des Dichtens und Liebens, so bist Du deshalb im Bunde mit uns. Berufe Dich, wo Du uns etwa anmaßend und lieblos fändest, auf dieses Wort: und wir werden die ersten sein, welche Deinen Tadel durch das Journal öffentlich bekannt machen. –
Aber ausser dem Eindrucke, den ein Werk der Kunst auf Dich macht, fühlst Du noch ohne Zweifel ein Verlangen zu wissen, was die Zeitgenossen und vornehmlich die Nachwelt dabei empfinden möchten, mit andern Worten, Du wünschtest den augenblicklichen Eindruck des Werks, auf den ja Umstände und Stimmung eingewirkt haben könnten, zu veredlen, zu verallgemeinern, so, daß Du ihn in allen Umständen und Stimmungen Dein ganzes Leben hindurch, festhalten und vertheidigen könntest; daß die verschiedenartigsten Zeitgenossen, ja die Nachkommen Dir beipflichteten, wenn Du ihn beschriebest. Keine Hingebung ist so groß, kein Lebensgenuß so bezaubernd, daß er die Seele zum Schweigen brächte mit ihrer Frage: wird er auch dauern, und kann das dauern, was ihn erregt. – Du kennst das häßliche Gefühl, wenn man sich des Freundes, der uns einst durch vergängliche Züge gereizt, schämen muß.
Dann auch möchtest Du in Dein Genießen hineinziehn die Übrigen, wenn es mit ihrer Freiheit bestehen könnte; nicht um Deinen etwanigen Irrthum klüglich zu verassekuriren, damit die mögliche künftige Scham sich unter recht vielen vertheilen möchte; nicht aus weichlicher Scheu vor der Störung in einem Genuße, dessen man nicht gewiß ist: sondern, aus männlichem Streben nach der Gemeinschaft recht vieler und recht verschiedenartiger vor dem Guten und Schönen. – Kurz, Deine Empfindung bei dem Kunstwerke soll sich vor Zeit und Nachwelt bewähren, ohne sich zu verhärten; sie soll sich mittheilen, ohne die Freiheit der Übrigen zu beleidigen. Du kannst Dir also nicht selbst genug sein vor dem Schönen, wenn Du es ernst und lebhaft damit meinst, wenn Du mehr verlangst als einzelne schöne Momente in Dei- <43:> nem Leben, wenn Du nicht unmittelbar nach der ersten Betrachtung des Werkes, seine Hand, wie die eines Todten, fahren lassen willst: Du brauchst Genossen der Liebe und der Bewundrung.
Aber wie citiren wir denn diese Nachkommenden, denen unser Kunsturtheil gefallen soll? Die Schatten der Vergangenen bieten uns doch deutlich gewisse Züge des Lebens dar, aber was ist uns von der Nachwelt geworden, als ein dunkles Vorgefühl. Wie mögen wir uns der Harmonie mit jenen versichern, deren ganze tausendfältige Entwicklung noch im Schooße des Schicksals verborgen liegt? – Und wie mögen wir auch nur die Lebenden aus ihren weitzerstreuten Wirkungskreisen, jeden aus seinem Wohnsitz und seiner Nachbarschaft herbeiführen? Sich entgegen kommen im Gespräch über die Kunst, einander die Hände bieten zu gemeinschaftlicher Bewillkommung jeden guten Bestrebens, wer möchte dies von den Menschen erwarten, in einer Zeit, wo jeder daheim bei sich genug zu thun findet; – und überdies durch Stimmensammeln, durch kalte Abrechnung zwischen den Beifälligen und den Tadlern werden die Könige der Schönheit nicht erwählt. Es bedarf des Gesprächs, des unendlichen und liebevollen, wenn die Ansicht und das Urtheil eines Kunstwerks sich veredeln und allgemeiner werden soll. Wenn solch ein Kunstwerk blos für sich lebte, und Dir, wohlwollender Leser, gefiele, ohne Dich weiter zu beleben; wenn es blos für sich schön wäre, ohne Dich und Dein eignes Leben zu verschönern, so möchte auch ein Kunstjournal ohne alle ächte Kritik bestehn. Niemand wüßte dann zu sagen, wie die Kunst in die Welt gekommen, und warum sie nicht mit aller ihrer Herrlichkeit in einem Augenblick wieder ausstürbe. Aber so belebt sie ganz sichtlich ihre Freunde; einige berauscht sie, andre befeuert sie zu eignem Wirken und Bilden, und viele macht sie wenigstens gesprächig.
Wir, die Herausgeber des Phöbus, haben diesen ersten Theil unsers Werkes dazu gebraucht, den Freunden der Kunst in Deutschland unsre Arbeit und das Eigenthümliche darin vorzulegen, ihnen, wie Albrecht Dürer sagte, unsre Hand zu weisen. Es kam darauf an, die Unbefangenheit, den Muth, das Streben und den freien offnen Sinn darzuthun; Mißfallen, ja eine leichte Verletzung des verzärtelten Publikums nicht zu scheuen, dafern wir nur die Fähigkeit, ihm künftig auch wieder wohlzuthun, uns zutrauen durften.
Nun kann ein Gespräch über die Kunst allgemach anfangen, da wir bewiesen haben, daß wir über uns selbst, über die Zeit und das Würdigste in der Kunst zur Noth Red’ und Antwort geben können. Die Strahlen, welche Werke, vornehmlich deutscher Art, auf uns werfen, werden wir auf unsre eigne Art verzehren und reflectiren. Ähnlichgesinnte, ja an Beruf noch überlegene, werden wir mit ihrer Stimme und ihrem Urtheile zu versammeln wissen, um recht deutlich dem Leser zu zeigen, wie ein und dasselbe Werk auf recht vielfältige Gemüther wirkt, um ihm die höchste Ehre und den vollkommensten Gewinn zu geben, die wir zuzuwenden <44:> im Stande sind: er soll nemlich der ruhige Zeuge eines recht bunten und klugen Gesprächs sein, und in dem Feuer, welches wir ihm bereiten, seine eigenthümliche Ansicht der Kunst zu einer allgemeinen und geselligen läutern können, zu einer solchen, aus derer es dem Urenkel noch rechtfertigen kann, daß ihm Platon, Shakespear, Cervantes und Göthe gefallen haben.
Denn warum haben wir wohl mit unsern Vätern über ihren Gleim, und Hagedorn, und Wieland nie einig werden können. Nicht deshalb, weil diese Dichter die Herabsetzung verdienten, die ihnen von uns Jungen, nicht minder befangenen, wiederfuhr; sondern weil zwei steife Systeme der Kunstkritik einander unbeweglich gegenüber standen, jedes das andere verdammend; weil es wohl Katheder der Beredsamkeit und Poesie, aber keine Gespräche darüber gab; weil zwar die Gewohnheit und die Schule, aber nie das eigne, freie, sinnreiche Leben, über die Kunst zum Worte gekommen.
Ironie, Ernst, Polemik, Parodie, Kritik in allen Formen, viele Urtheile über ein Werk, ja Urtheile über Urtheile sollen erscheinen, und die zweite Hälfte eines jeden Heftes vom Phöbus bilden. Die Realität, d. h. die Liebe und den Haß, den Tadel und das Lob werden wir dennoch behaupten, wo sie hingehören; diese Sicherheit der Hand und des Herzens, so daß weder ein hyperkritischer Ekel, noch ein buntes, belletristisches Scheinleben, sondern nur unersättliche Liebe zum Besseren und Schöneren, dabei herauskomme, wolle der gütige Leser uns zutrauen.
Und so haben wir es dann zunächst für die zweite Hälfte dieses Jahrgangs auf die Betrachtung der künstlerischen Laufbahn Schillers angesehen, und ersuchen alle Freunde des Dichters und der Kunst, den Kranz, welchen wir zu seinem Andenken winden wollen, zu bereichern und zu verschönern. Das unscheinbarste, ein leicht hingeworfener Gedanke über das unbedeutendste Werk des Dichters, kann durch Geruch, Farbe und sinnige Zusammenstellung im ganzen Gewinde einen unschätzbaren Werth erhalten.

 

[ PHÖBUS(5) ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]