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Friedrich Gottlob Wetzel, Iduna, Göttin der Unsterblichkeit, 23-28; darin: Erstes Lied, 23-25

III. Iduna, Göttin der Unsterblichkeit.
(Nach der isländischen Edda.)

Erstes Lied.

Unter Göttern wandelt Eine,
Hoch, des Harfengottes\1\ Braut,
Schöner hegt der weite Himmel keine,
Goldne Äpfel ihr sind anvertraut,
Wie die Götter dieser Frucht genießen,
Ihre Tag’ in ew’ger Jugend fließen.

Lokk’\2\ und Odin\3\ waren lange
Auf dem Weg durch Riesenland,\4\
An die doppelzüngig falsche Schlange
Er, der Heldenvater, festgebannt,
Dürre Wüsten, wilder Ströme Wogen,
Berg’ und Felsen waren sie durchzogen.

Und nach vielen Tagen kommen
Sie in ein anmuthig Thal,
Nur vom Sonnenaug’ in Acht genommen
Weiden Rinderheerden ohne Zahl,
Müd’ und hungrig gleich den Menschenkindern.
Schlachten sie Eins von den feisten Rindern. <24:>

Und der Kessel lange glühet
In der Flamme lichterloh,
Und das Wasser lange kocht und sprühet,
Immer bleibt das Fleisch im Kessel roh,
Dreimal wohl sie den Versuch erneuen,
Nimmer will’s nach Herzenswunsch gedeihen.

Solches Zaubers sonder Gleichen
Wundert sich das Götterpaar,
Horch! da rufts hoch aus den nächsten Eichen,
Und die Stimme kam von einem Aar,
Immerhin, so rief der arge Spötter,
Immer bratet, ihr allmächt’gen Götter!

Will der Adler, wirds euch glücken,
Will er nicht, ihr bratet nicht!
Und die Götter droben ihn erblicken,
Abermal vom Baum die Stimme spricht:
Theilt ihr mit dem Adler nicht die Beute,
Bratet morgen noch umsonst wie heute.

Laßt uns sehn, die Götter sprechen,
Wie dieß Wunder enden wird!
Sie dem Adler gleich sein Theil versprechen,
Huy! der Vogel von der Eiche schwirrt,
Eh’ gekostet noch der Götter Lippen,
Hat er Bugen schon verzehrt und Rippen.

Drob ergrimmt der Fürst der Schlangen,
Wirft die Keule hoch entbrannt,
An dem Adler bleibt das Ende hangen,
Und der Keule Griff an Lokkens Hand,
Augenblicks hoch auf zum Himmels-Bogen
War mit ihm der Adler aufgeflogen.

Wie der Sturmwind mit dem Armen
Flog der Aar Wolk’ aus Wolk’ ein,
Lokke schreit zum Adler um Erbarmen,
Es gereut ihn, Mensch geworden sein,
Schleift der Leib schwer nach den jähen Schwüngen,
Droht der Arm all’ Augenblick zu springen. <25:>

Über Wasser, über Felder,
Flog der Adler immer zu,
Himmelhoch weit über Berg’ und Wälder
Mit dem Lokke ohne Rast und Ruh,
Lokke hört nicht auf mit Schrein und Flehen:
Fodre, was du willst, es soll geschehen!

Da erklingt des Adlers Stimme:
Auf Erlösung hoffe nicht!
Eines nur genüget meinem Grimme,
Du bist frei, wo mir’s dein Mund verspricht,
Nach Iduna’s goldnen Wunderfrüchten
Geht schon lange Tag und Nacht mein Dichten.

Schwör’, du willst die Göttin locken
Aus Asgard,\5\ der Götter Ort!
Also sprach der Adler wohl zu Lokken,
Und der Lokk’ schwur auf des Adlers Wort;
Unten stand er flugs bei dem Gefährten,
Gen Asgarten Lokk’ und Odin kehrten.

\1\ Iduna ist die Frau des Braga, des Gottes der Poesie – eine herrliche Ehe: Poesie und Unsterblichkeit!
\2\ Lokke heißt in der nordischen Mythologie das böse feindselige Princip. Demohngeachtet ist Lokke unter den Göttern, wie auch die schadenstiftende Ate nach Homer, ehemals mit im Kreise der Unsterblichen war.
\3\ Odin König und Vater der Götter.
\4\ Die Riesen, die Titanen des Nordens, wie diese, ein älteres Geschlecht, als die Götter, leben in ewiger offener und heimlicher Fehde mit den Asen, dem neueren Götterstamm.
\5\ Asgard oder Asgarten, Garten der Asen, die Stadt der Götter.

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Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
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