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[ PHÖBUS(6) ]

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Philosophische und kritische Miscellen, 32-46; darin: <Adam Müller>, Einleitung, 32f.

VI. Philosophische und kritische Miscellen.
Beilage zum Phöbus.
Einleitung.

A.– Clavigo sagt, da ihm Carlos eine neue Liebschaft einreden will: er halte nicht viel auf solche Vorschläge; ein Roman, der nicht ganz von selbst komme, sei nicht im Stande ihn einzunehmen. – Das ist mein Mann! wenn werden doch Schriftsteller und Leser in Deutschland so keusch und männlich von einander und von ihrer Liebschaft denken. Dieses Kuppeln, diese Zwischenträgerei der Recensenten und besonders – daß es zum Bedürfniß des Publikums geworden, zeigt mir, wie sündhaft und unrein Literatur und Geschmack in Deutschland sein müssen. Da ist mir noch kein Leser vorgekommen, welcher sich gebührlich geschämt hätte, irgend ein schönes Kind der Literatur aus zweiter Hand zu kaufen. Als wenn sie herkömmlich ein für allemal die erste Blüthe der Liebe den Recensenten überlassen müßten, wie in gewissen Ländern die Edelleute über die Bräute ihrer Unterthanen ein ähnliches Recht haben – ja wahrhaftig! es giebt so entnervte Leser in Deutschland, die an unmittelbaren Umgang mit den Werken des Geistes nicht mehr denken, die sich Jahr aus Jahr ein mit den Literaturzeitungen und – ihrer Zuschauerrolle begnügen.

B.Wie magst du, mein wohlerfahrner und doch so spekulativer A., einstimmen, in den gemeinen Klaggesang über die Zeit? der Zeitungsleser werden täglich mehr, meinst du, der Agirenden weniger; und demnach, willst du fortfahren, muß in unserm Kunstjournal, falls wir nur bestehen wollen, nicht blos auf die Agirenden Rücksicht genommen, sondern auch ein Stück Zeitung zum Besten gegeben werden. –

C.Ist schlechterdings nothwendig, wie ich euch vom Anfang gesagt: Heutzutage müssen die solidesten Kaufleute Mäklergeschäfte nebenher treiben! der Markt von Europa ist groß, und die Natur hat vornehmlich Deutschland zum Zwischenhandel bestimmt. Sonach müßt ihr euch fügen! die paar Gold- und Silberstoffe, welche ihr da aushängt, sind noch nicht die Welt; das elegante Schild, welches ihr ausstellt, haben die Vorübergehenden gratis; und eure Firma – ich sage nichts: dankt Gott, daß ihr das Geld zur Entreprise im Kasten habt. Besser thätet ihr, ihr behieltet es darin.

B.Unterbrichst du uns denn immer, lieber ökonomischer Rath! du bist eine höchst wesentliche Person, umsichtig, thätig, und was mehr sagen will, agil: du weißt am besten, welche andre größere Rolle, wir, deines Genies eingedenk, dir <33:> noch zugedacht, Noch aber widerstehst du unserm A und seiner großmüthigen Natur. Laß mir, ich bitte, die Zeit jenen Edlen zu besänftigen, und seine heilige Wildheit zu zähmen.

C.Auch ich habe einst recensirt – und so hat sein Gleichniß vom Kuppeln mich persönlich angegriffen. Doch es thut nichts, ich entäußre mich: ich will nichts sein als Geist – Geist eurer Casse! wenn ich also in guter Absicht die Recensenten mit den Mäklern vergliche –

A.Mäklern, ich bin zufrieden! wer treibt denn dies Geschäft als ein creditloser Anfänger und –

C.– Und ein Banqueroutirer, willst du sagen. Du dauerst mich, mein Kind, mein ironischer Kunstfreund, mit der schwerfälligen Moral! so ein banquerouter Philosoph, der mir nichts dir nichts seine Parthei ergreift, und eine Literaturzeitung ankündigt, ist mir eine ehrwürdige Person. Die Landesgesetze sind auch schwerfällige Wesen, betragen sich mit unausstehlicher Prüderie gegen meine Göttin, das Glück: aber daß sie mit einer gewissen liebenswürdigen Gelassenheit den Concurs gestatten, das söhnt mich wieder mit ihnen aus. Doch diese Ansichten begreifst du nicht; also: Wo ein großer Markt ist, da sind Börsen, wo Börsen sind, da sind nicht blos Kaufleute, sondern auch Mäkler. Wollt ihr nun recht große Kaufleute sein, und euch einen großen Markt bilden, so müßt ihr auch die Mäklergeschäfte verstehn. Denkt doch an die Buchhändler! welche Autorität, welchen Einfluß kann euch eine Handvoll Lob und Tadel, klug ausgestreut, einbringen. Welcher Zulauf von allen Seiten! wie gewürzig, wie piquant wird die Schüssel, die ihr dem Publikum vorsetzt. Nicht blos um die Improvisatoren und Marktschreier versammelt sich die Menge: auch eine derbe Raufferei hat etwas anziehendes, zumal in unserm Norden. Mischt von beiden, ich bitte euch! Die Corinna, die doch gewiß singen kann, steigt, wenn ihre Stunde gekommen, auch wieder herunter vom Capital, und kritisirt Künste, Zeiten, und die Völker Europas. Kurz, damit ihr selbst nicht Banquerout macht, und dann zur Mäkelei eure Zuflucht nehmen müßt, so rathe ich euch: treibt das Geschäft gleich von Hause aus. Geht das eine nicht, so geht doch das andre: wills mit dem Kunstjournal nicht fort, wird eine Literaturzeitung daraus. Und wahrlich dazu ist der B. ein trefflicher Mann! wie man eine Hand umdreht, macht er aus jeder Wissenschaft eine Kunst, und treibt sie dergestalt alle ins Kunstjournal hinein, und, so es die Umstände wollen, auch wieder in die Literaturzeitung hinaus.

A.Nun gut, ich füge mich. Baut euren Markt auf! schleppt philosophische, kritische und Zeitungs-Waaren zusammen, so viel ihr vermögt. Aber es werden Gränzen abgesteckt. In der einen Hälfte dauert das alte ernsthafte Spiel fort; die andre Hälfte des Phöbus, in der wir jetzt stehen, überlasse ich euch, und ziehe mich zurück.

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Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
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