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Wilhelm Nienstädt, Von der didaktischen Poesie (Fortsetzung), 20-33; darin: III. Von einigen frühern Gestaltungen der didaktischen Poesie, 28-33

III. Von einigen frühern Gestaltungen der didaktischen Poesie.

Es soll hierüber nur Einiges im Allgemeinen und zwar zur Erläuterung und Rechtfertigung des vorigen gesagt werden: eine ausführliche Anwendung desselben auf einzelne didaktische Gedichte, kann sich nicht füglich so engem Raume bequemen. Nun mögte es allerdings in Folge der Untersuchung auffallen, wie sich nie lange jene Gattung in ihrer Reinheit erhalten, noch vollkommen so dargestellt, wie wir sie zuvor beschrieben. Auf das letztere genügt allein die Antwort, daß wir von ihr überall nur im Hinblick auf unsre Zeit gesprochen haben, auf das erstere dagegen, daß der ihr eigenthümliche Reichthum und die Fruchtbarkeit, welche sie bei würdiger Behandlung beweist, sehr bald auf die Ausbildung der unterschiedenen andern Formen wohlthätig einwirken müsse, mit welchen sie auch von Anfang in gewissem Grade verbunden gewesen, ohne jedoch, wie es nun scheint, über dieselben zu gebieten. Jedesmal indeß haben wir bei näherer Prüfung das didaktische in seiner Reinheit angetroffen, dann, wenn eine neue Ordnung in der geistigen Welt sich ankündigte, sei es nun auf den Trümmern einer früher bestandnen erbaut, oder beim ursprünglichen Erwachen sämtlicher Kräfte zu harmonischem Verein. Eine Trennung zwischen Vernunft und Phantasie mußte vorhanden sein, beide aber sich noch vertraut berühren, und ihren gemeinschaftlichen Ursprung nicht verkennen. So lange <29:> beide eins waren, erkennen wir die heroische Zeit. Wir können daher, nicht blos durch historische als durch innre Gründe geleitet, unmöglich dasjenige, was noch aus dem frühern Alterthum als didaktische Poesie bekannt ist, anders als in die Zeit setzen, welche zwischen dem Epos und der Entstehung des Drama mitten inne liegt. Es war damals schon die Welt der genauern Betrachtung anheim gefallen, immer aber lag sie in ihrer Ganzheit dem Auge vor, und der Nähe wegen, bewahrte das Lehrgedicht noch manchen Zug des epischen, vornehmlich das plastische. Die göttlichen Bilder, in welche sich der früheste Geist, bewußtlos schaffend, vervielfältigt, fingen an geordnet, bestimmt, in organische Folge gestellt zu werden. Als darauf das Einzelne immer geschiedener hervortrat, erwachte das Verlangen, seine Einheit in der Mannigfaltigkeit klar anzuschauen, welches die Philosophie erzeugte – und so bewährt sich auch Wesen und Standpunkt des didaktischen von historischer Seite, den wir früherhin von innen heraus ableiteten. In jene Zeit fallen auch die große, ehrwürdige Anzahl von Hymnen, die in so vielen Stücken noch ächt didaktisch den Accord enthalten, zu dem sehnsüchtigen Streben der Zeit, welches sich immer mehr als Mysterie von dem äußern Treiben schied: denn was in der Urzeit als Mysterie genannt wird, ist gewiß weit verschieden von jenem, wie auch die dahin verlegten Hymnen und Philosopheme, wenn man anders an dieselben glauben will. Die Aussenwelt, das Göttliche und das Irdische aus sich heraus zu erzeugen, war das Streben der didaktischen Dichter, denen wir noch manche der ersten Philosophen, wie sie die meisten unbestimmt nennen, auch derer, die nur nach dunkler Kunde bei uns genannt werden, beirechnen können. Ihren Werken, durch Berührung der Phantasie und Vernunft entsprossen, war jene, als das Frühere untergebaut; den unsrigen, die wir in entgegen gesetzter Richtung fortschreiten, die letztre, als das nun früher ist. Dadurch allein schon wird es klar, wie dazumal das Didaktische als Allegorie auftreten konnte und mußte, in welcher das Unendliche durch ein Endliches angedeutet wird, wie aber der Gebrauch derselben zu unsrer Zeit, wo man bemüht ist, in jenem dieses jedesmal vorgebildet zu erblicken, allem Fortschreiten der Kunst geradesweges entgegen läuft: vielmehr halten wir sie für ein gänzliches Verderbniß der heutigen Kunst, ja für Entweihung ihres unantastbaren Gesetzes. – Auch auf das Leben, seine Erscheinungen und Verrichtungen, wie deren Verhältniß und Zusammenhang, wandte sich gar sehr früh der Geist, und wenn ein Dichter den Umriß zusammenhängend und in gediegner Fülle den Zeitverwandten aufstellte von dem Bilde, welches seinem Geiste, Alles nur in seinem Ganzen erblickend, von Gesetz und Regel menschlichen Geschäftes sich eingeprägt, so gilt uns das, noch dazu in Erwägung des damals so öffentlichen Lebens, eben so sehr für ein hohes Beispiel des Didaktischen, als wir es nicht dafür erkennen würden, wenn gegenwärtig irgend einer es unternähme, die zerstückten menschlichen Pflichten in poetisches Gewand zu hüllen.
Nur also durch Vermittelung bestehend, konnte die genannte Form nur ein schnell verduftendes Leben führen. Ein merkwürdiges Beispiel aber, wie sie noch einmal <30:> frisch gebildet wurde, liefern uns die Dialogen des Platon, keinesweges an sich und ohne alle Beziehung genommen, sondern nur von ihrer poetischen Seite angesehn. Nur auf der Höhe, wo er stand, wie er alles in seiner Einheit erkannte, und auch das Verschiedenste in den Einen Staat hineinzog, und nur bei dem öffentlichen, was damals Philosophie und Kunst hatte, war noch eine solche Gestaltung möglich. Wir dürfen uns selbst noch nicht eines sichern Überblicks seiner sämmtlichen Dialogen rühmen; doch wollte es uns mehrmals scheinen, als stellten sie – in der Gesamtheit betrachtet, wie sie allein betrachtet werden sollen – ein großes didaktisches Drama, ein Schauspiel göttlicher Ideen dar, und halten es für die erhabenste Aufgabe, etwas ähnliches in einer unserm Leben angemessenen Gestalt, zu liefern, deren Gesetze sich aus jenem entwickeln ließen.
Nur einen sehr flüchtigen Blick können wir hier auf die Erscheinungen der didaktischen Poesie bei den Morgenländern werfen: immer aber bleibt es und mehr denn Alles zu beklagen, daß jenen Völkern und den geringen Überresten ihrer Werke so wenig Aufmerksamkeit im Ganzen gewidmet wird; denn auch dieß ist ein Fehler, durch den, wir, fortgerissen von dem einmaligen Treiben und gewöhnt, den eignen Wohnsitz zu verleugnen, und dagegen fremde Zeiten, gleich als wären sie die unsrigen, zu betrachten, nur zu oft begehen; was dann, auf absolutem Standpunkte betrachtet, das Höchste erscheint, ergötzt uns am meisten, wie die griechische Bildung; was indeß uns vor allem frommt, vergessen wir, gar zu wenig auf uns selbst bedacht. Es gewährt nun aber die morgenländische Poesie einen dauernden und gleichsam für immer festgehaltenen Anblick des Didaktischen. Denn, bei wunderbarer Gleichförmigkeit durch viele Zeiträume, sehen wir dort, wie nirgend, Vernunft und Phantasie, Bewußtsein und Bewußtlosigkeit in wechselseitiger Begränzung, Gedanke und Dichtung mit einander vermählt und durch einander befruchtet, dessen Gepräge sich der einfachen Reihe ihrer Dichtungsarten mittheilt, die nur Modulationen der didaktischen zu nennen sind. Wie das Ganze dieser Erscheinung seinen Grund hat, in der individuellen Zusammenstimmung ihres Geistigen mit dem Physischen, die man das Klimatische nennt, so drehen sich die besondern Gestaltungen jener Gattung um die Religion, durch welche dort die Völker zu einem Ganzen vereinigt wurden, und die den Grundton ihrer Werke ausmacht. Woher auch anders die unendliche Menge ihrer Sprüche, ihrer Antithesen und Änigmen, ihrer Gleichnisse und Parabeln, welche insgesammt ein didaktisches Gedicht im Kleinen zu nennen wären, als weil sie, bald ein durch Phantasie erschaffnes Ganze unter den Brennpunkt der Vernunft stellen, bald dieser wieder durch jene äußres Leben ertheilen, weshalb auch noch jetzt die Ansichten des Lebens, wie sie sich in Sentenzen-Form aus poetischen Köpfen, besonders der gemeinen Stände, offenbaren, alle Aufmerksamkeit verdienen. Weil sich nun vom Anfang ihr geistiges Wirken, als eine Auflösung jener beiden Elemente in und durch einander ankündigte, war auch zugleich die Einfachheit und Beständigkeit ihrer Bildung gegeben, wie hingegen die griechische, mit <31:> kräftiger Fülle beginnend, und aus der Tiefe des Reichthums schöpfend, verschiedene Stufen und Umwandlungen ahnden ließ, der Einwirkung von außen nicht zu gedenken.
Mit wenigem gedenken wir hier der didaktischen Versuche bei den Römern. Ist jede freie Eröffnung individueller Ansicht ehrwürdig, und kann nur der beschränkte Urtheiler Anmaßung in ihr suchen, so gestehen wir, daß wir von ihrem geistigen Treiben, wo es nicht Historie und Rhetorik galt, jederzeit vielleicht allzu gering gedacht haben. Das wenige, was wir auch von ihren Bearbeitungen jener Gattung kennen, ist, wie ihre ganze Poesie, nur Aneignung des fremden, entweder Bearbeitung eines ehrwürdigen Gebäudes der Philosophie (wie das Gedicht des Lucrez,) das indeß, wenn man es mit den poetischen Werken der spätern Römer vergleicht, vortrefflich, besonders in einzelnen Stellen, genannt werden kann, oder rhetorische Ausschmückung wieder eines gegebnen Stoffes. Es scheint unmöglich, daß ein Volk, dem das Objective von Staat und Vaterland einziges Ziel des Strebens war, welches Streben sich nie bei ihnen, wie bei den Griechen, von außen nach innen, und von innen nach außen, in Wechselneigung hielt, sondern immer außer dem Subjekt das Leben hinsetzte, daß dieses je in Poesie und Philosophie – mit wenigen Ausnahmen – mehr leisten konnte, als dasjenige fleißig und in engen Gränzen überarbeiten, was ihm ein vollendetes Volk geliefert.
Äußre Hindernisse waren es, welche in den ersten Zeiten des Christenthums das Aufblühen jener Form gehemmt haben. Doch dürfen wir auch auf der andern Seite, von dem zu ganz neuem, himmlischen Leben erwachten Geiste, von der am Anschauen des Unendlichen erwärmten Empfindung, von der Begeisterung, die durch Druck und Plagen von außen her, nur noch immer kühnern Schwung erhielt, nicht gleich anfangs reife Früchte erwarten. Nach Jahrhunderten der Unruhe und Gährung, als ein sicherer, fester Boden sich allmählig wieder zu bereiten anfing, als auch die Speculation Eingang und Freunde überall gefunden, konnte und mußte ein neues Leben für die didaktische Poesie hervorgehn, aber nicht anders denn höchst bedeutend seine Spuren sein. Das heroische Zeitalter war vorüber, und noch war keine Spaltung in die Gebiete menschlichen Treibens getreten, die nunmehr so unsicher macht den Blick, und uns, theilbar wie wir sind, auch flüchtig und unstet über den Boden erhebt. Wir setzen gern die nächsten Jahrhunderte, seit den Kreuzzügen den zu Anfang erwähnten frühesten Perioden des Alterthums gegenüber, und finden demnach einen höchst eigenthümlichen Unterschied der Art, wie die didaktische Poesie sich, und zwar nach Gesetzen der Nothwendigkeit, in beiden verschieden offenbart hat, dessen Betrachtung auch für so manches andere, höchst fruchtbar ist. Wie nemlich dort an die bewußtlosen Schöpfungen der Phantasie sich die Reflexion über die äußre Natur reihte, so hier das unendliche Gefühl der Liebe, der Religion, die Begeisterung für die Wohlfahrt des Innern an die Geschichte. Von der Seite möchten wir am liebsten die erhabnen Werke des Dante, Petrarca und Hans Sachs, wiewohl auch <32:> mit Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten ihres Landes, betrachtet wissen, und uns von neuem rechtfertigen wegen der Ansicht, die wir oben für unsre Zeit, gemäß der von ihr entworfenen Schilderung von dem didaktischen aufgestellt. Denn nichts ist verderblicher, und günstiger für das Hin- und Herschwanken unsrer Tage, als den Begriff irgend einer Gattung im Kunstgebiete für alle Zeiten eigensinnig feststellen wollen, oder ihre Gesetze aus irgend einer frühern Epoche streng herleiten. Es wäre hier freilich ein schicklicher Ort, durch eine nähere Erläuterung der Werke jener drei Dichter, und der nächsten sowohl als erhabensten Muster, den eignen Drang darnach zu befriedigen und zu zeigen, wie Jeder auf seine eigenthümliche Weise ein vollendetes geliefert; allein wir dürfen voraussetzen, daß der Inhalt ihrer Werke allgemein bekannt ist, und mögen auch dieser Abhandlung nicht einen das Verhältniß übersteigenden Umfang geben. Nur davon, wie sie aufgenommen werden wird, hängt es ab, daß wir auf solches Geschäft besondern Fleiß und Aufmerksamkeit verwenden.

Nur in engen Umriß gestellt und angedeutet ist hiermit dasjenige, was durch bestimmtere, sorgfältigere Ausführung weit mehr an Deutlichkeit und Nachdruck gewonnenn hätte. Immer konnte auch so nicht die Gattung in der Ganzheit ihres Lebens angeschaut werden, indem es nöthig war, sie aus dem Gesammtleben, das sie mit der ganzen Kunst führt, der sie wie ein organisches Glied angehört, herauszureißen – wie auch Geschichtschreiber gezwungen sind, einzelne Völker loszutrennen von dem Leibe der Menschheit, durch den sie nur allein unsterbliches Leben erhalten und bewahren. Wir wissen überhaupt nicht, ob hier oder da ein Wink enthalten ist, der würdig der Aufnahme wäre, wohl aber, daß unser Bestreben rein und im Ganzen tadellos ist. Denn weit entfernt, den Zeitgenossen Etwas zu gebieten oder aufzulegen im Gebiete der Freiheit, da nie ein Mensch je zu gebieten vermag, wollten wir vielmehr die Sprache der Zeit, die durch unser aller, ihrer Kinder Mund, sich vernehmen läßt, hervorheben, auch keinesweges, wie so viele gethan, an dem, was zeitmäßig ist, etwas verändern oder dasselbe lenken, weil wir wissen, daß es als solches, wie es auch in Vergleich mit andern Zeiten erscheine, immer göttlicher Vortrefflichkeit ist, sondern nur eine poetische Gestaltung jenes Zeitmäßigen fordern. Schlecht kann nun aber nie, in welcher Gestalt es auftrete, ein Werk genannt werden, wenn es in die Zeit eingreift, an Ort und Stelle verweilt, zu Hause ist – ein Wort das uns, und mit einigem Fug immer fremder zu werden anfängt. Scheinen wir auch hier oder da verkannt oder zu voreilig niedergerissen zu haben (vornehmlich, indem wir mit wenigen fast unerklärlichen Ausnahmen so gering von sämmtlichen Kunstwerken der Zeitgenossen urtheilen) so nenne man dieß nicht Stolz, sondern vielmehr Bescheidenheit, weil wir uns so weit zurück von dem hohen Ziele dünken, das uns täglich, ja stündlich vorschwebt und mächtig anlockt. Dieß zu erreichen, dünkt uns; geschieht nur zu wenig, und wiewohl in den zahllosen Einschränkungen von außen her, mit denen man dafür bitter genug hadert, manches Hinderniß ruht, <33:> so konnte doch davon hier unmöglich die Rede sein, zumal da noch immer an unsrer Seite genug zu thun übrig bleibt. Nie so sehnsüchtig in die Zukunft hingebaut, nur die Gegenwart richtig erfaßt, von allen Seiten herbeigetragen den Stoff zur eignen Bildung ins Unendliche, und durch die Allmacht des Geistes zum Sclaven gemacht das Irdische, das uns zu bewältigen droht! denn was vom Geiste ist, überwindet die Welt. –

W. Nienstädt.

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