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Adam Müller, Adam Müller, Philosophisch-kritische Miscellen, 33-39; darin: 2. Vom Antorganismus, 37-39

2. Vom Antorganismus.

Die thätige Betrachtung eines organischen Wesens, hebt mit der Erkenntniß einer Bewegung, einer Handlung im Organismus an. Ein Handelndes oder Bewegtes wird nur sichtbar durch die Erkenntniß eines Behandelten oder Bewegenden. So entsteht in fortgesetzter Betrachtung eine Reihe von Reactionen, durch die oder mit der die Reihe der Actionen des Organismus erst kenntlich wird. Beide Reihen sind unendlich, und es giebt demnach keine absolute, geschlossene Einsicht des Organismus. Denken wir uns indeß auf irgend einer Stufe beider Reihen, dieselben relativ geschlossen, und nennen wir die Summe der Actionen: Organismus, die Summe der Reactionen hingegen, der Feindseligkeiten, durch die jeder Schritt der Bewegung <38:> des Organismus scheinbar gehemmt, aber wirklich hervorgerufen wird, Antorganismus: so wird sich aus der Erkenntniß der Wechselwirkung und des Verhältnisses beider streitenden Mächte, die Idee eines Gleichgewichts, eines Friedens in dem Streite, oder die Idee eines den vorigen Organismus und Antorganismus einfach umfangenden höheren Organismus erzeugen, neben dem sich aber unmittelbar ein neuer, höherer Antorganismus melden wird. So organisiren sich der weibliche Organismus und der männliche Antorganismus zu dem höheren Organismus der Familie; der Organismus der grundbesitzenden und der Antorganismus der umherschweifenden, dienenden Familie zum höheren Organismus des Staates; der Organismus der handelnden Seemächte, und der Antorganismus der ackerbauenden Landstaaten, zum höheren Organismus des politischen Gleichgewichts und so fort. Absolute Ruhe, oder ein endlicher höchster Organismus ist nirgends zu erreichen, weil jeder Organismus anschaubar, ergreifbar, existent wird, nur durch die Kraft, mit der er sich gegen einen immer gewaltigeren Feind wehrt, regt, bewegt. –
Jedes entdeckte Gesetz, jede Wahrheit ist ein höherer Organismus, hervorgegangen aus dem Streit mehrerer Gesetze und Wahrheiten, die Gegenstände, wie sie der Strom des Lebens vorüber führt, (in um so bunteren Contrasten, in um so mährchenhafterer, traumartigerer Folge, als die Empfänglichkeit, die Vielseitigkeit der Beschauung wächst,) gruppiren sich zuerst in dem kindlichen Beschauer, durch die Gemeinschaft der Farben, der Töne u. s. f. Jede neue Erscheinung ist ein antorganisches Wesen, das mit dem Organismus der alten bereits verzehrten Erscheinungen, seinen Streit beginnt, einen Antigegensatz, einen höheren Organismus erzeugt u. s. f.
So bildet auch jede Versammlung von Meistern und Lehrlingen der Philosophie einen Organismus. Gemeinschaftlich für einen Zweck, gegen einen Feind, gegen einen Antorganismus entzündet, vergessen wir alle Disproportionen und Differenzen unsrer Naturen, und stellen gleichsam uns als eine einzige Person unserm vorliegenden Gegenstande, z. B. der Kunst und ihrem Wesen, gegenüber. Untereinander sich gegenseitig, und dann auch wieder uns auf vielfache Art widerstrebende Kunstzeitalter, Kunstwerke und Ansichten der Kunst, kommen uns schaarenweise zum Streite entgegen. Nicht von unsrer philosophischen Strenge allein, sondern auch von unsrer versöhnenden Milde wird es abhängen, ob wir in diesem Streite triumphiren, ob wir alle widerspenstigen Glieder jenes großen Reiches der Kunst, nicht durch Unterdrückung oder Vernichtung, sondern durch Erhebungen zu höherem Sinne, für uns gewinnen werden. Gelänge uns das Letztere, so würden wir uns, den Organismus, der sich zum Zwecke gemeinsamen Philosophirens verbunden hat, und die Kunstwelt, den Antorganismus, gegen oder für den wir uns verbanden, gemeinschaftlich zu einem höheren Organismus gesteigert haben, so uns trennen und in neuer Armatur, einem noch erhabenern Antorganismus, den Dissonanzen der s. g. äußeren Welt, dem Zwange des ökonomischen Lebens, oder der s. g. Wirklichkeit entgegen gehn. Daß diese von weichlichen Kunstfreunden so schnöde behandelte Wirklichkeit, mit <39:> allen ihren scheinbaren Widersprüchen von Neigung und Pflicht, von Poesie und Ökonomie, auch nichts weiter sei, als eine große, zerstreute Kunstwelt, als ein noch höherer Antorganismus, der mit dem bereits ergriffenen Organismus im Streite, zu einem höheren Organismus sich erheben muß, mit dieser heiligsten Idee sollte der Meister der Philosophie vor allen Dingen sein Publikum erfüllen.

 

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Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
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