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Adam Müller, Fragmente über William Shakespear, 55-87; darin: II. Bearbeiter und Übersetzer, 56f.

II. Bearbeiter und Übersetzer.

Es bedarf keiner Erinnerung, daß die deutschen abkürzenden Bearbeitungen der Werke des Dichters, die hin und wieder noch auf unsern Bühnen spuken, alle das characteristisch Große und den eigenthümlichen Genius Shakespears verläugnen, und zu weiter nichts dienen, als dem Gedächtniß den fremdklingenden Namen von Zeit zu Zeit zurückzurufen, und an ihrer verrenkten, verhunzten Schönheit sogar uns die Armseligkeit der Poesien merken zu lassen, mit denen wir uns Jahr aus Jahr ein begnügen. Der philosophirende Candidat, den wir unter dem Namen des Hamlet, der kindische Alte, den wir unter dem Namen des Lear zu erhalten pflegen, die Anständigkeiten und die weltliche Gerechtigkeit, die ungeschickte Hände den ehrwürdigen aller seiner Thaten und Zwecke wohl bewußten Geist ausüben lassen, können in wohlgearteten Gemüthern nur ein wehmüthiges Gefühl über unsren Kleinmuth und unsre kränkliche Reizbarkeit erwecken. – Die Vorschläge zu einer Bearbeitung des Hamlet, im Wilhelm Meister, in sofern sie nur dienen sollen, die unergründliche Tiefe des Werkes spüren zu lassen, sind sinnreich, zart, und das schönste was über den Shakespear gesagt worden: in sofern eine wirkliche Bearbeitung versprochen, und deshalb die poetische Zerlegung vorgenommen wird, Göthes unwürdig. Wozu denn überhaupt bearbeiten? Wozu sollen sich denn diese Riesenwerke nach unsern kleinen Brettergerüsten bequemen? Kommt es der Bühne, die einmal doch nichts Besseres vermag, kommt es ihr nicht zu, sich nach ihnen, kommt es dem ausgearteten Gesellen und Kinde nicht zu, sich vielmehr nach dem Vater und Meister zu bequemen? Oder ist das Kind etwa zu sehr mit deutschem Brei und französischen Confitüren verwöhnt, es soll erst allmählich in den Geschmack der Kraftspeisen hineinkommen? Gut, so gebt ihm irgend eine andre Mittelspeise! der alte Vater kann es abwarten an seiner reichen, vollen Tafel: die Zeit wird schon wieder zu ihm zurück müssen. Befördre nur Niemand ohne Noth die Täuschung, daß wir schon bei ihm wären, und daß er schon würdig erkannt und bewundert sei. –
Unter allen Übersetzungen des Dichters, ragt eine einzige so weit hervor, daß neben ihr von den übrigen die Rede nicht sein kann, und dieses ist, mit Stolz sei es gesagt, eine deutsche: es ist August Wilhelm Schlegels Übersetzung der einen Hälfte der Shakespearschen Dramen, im Rythmus und im Geiste des Originals. Hätte der Fleiß vollendet und retouchirt, was das Genie so siegreich begonnen, so würde der grämlichste Pedant einsehn müssen, was die Bessern fühlen, daß nemlich durch diese Übersetzung Shakespeare auf ein halbes Jahrhundert hin, Eigenthum der deutschen Nation geworden sei: so lange müssen die andern leben, bis sie und ihre Sprachen einer gleichen Aneignung fähig sind. <57:>
England selbst hat freilich noch eine Art von altem, bestaubten und verrosteten Nationalgottesdienst des Shakespear, der aber leider nicht einmal mehr mächtig genug ist, um Kotzebues Pizarro und andres ähnliches Raubgesindel des Auslands zu verscheuchen. Die brittische Bewunderung des Shakespear reducirt sich zuvörderst auf einen alten, feisten, treuen, hartnäckigen Glauben, den er indeß mit Milton, Pope, Locke, und wie sie heißen mögen, theilen muß, wie denn überhaupt die Britten, aus übrigens sehr ehrenwerthen Motiven, ihre National-Autoritäten gleichsam in Masse, in Pausch und Bogen zu respectiren pflegen: Shakespeare hat indeß mit ihrer neuern National-Literatur wenig genug zu schaffen, und wenn auch das Land, das diesen Coloß zu gebähren und zu tragen wagen durfte, immer neue Beweise der alten, mit Weisheit bewahrten Kraft giebt, wenn es auch noch in seinem Blute den Shakespear bewahrt, so sind doch nicht weiter Kinder seines Geistes in Sprache ans Licht gekommen. Der Spektakel erfreut den brittischen Pöbel noch bis heute, das ist wahr; die brittischen Kritiker erschöpfen sich, indem sie die s. g. Auswüchse der Phantasie verwerfen, noch bis heute im Lobe seiner Naturwahrheit, der, wie sie es nennen, psychologischen Unergründlichkeit dieses Autors – aber für den ganzen Meister fehlt, wenn nicht das Herz, doch das Auge und die Beweglichkeit, die Entzündbarkeit der Phantasie. Wenn Bauern oder andre gemeine Leute, in der Nähe einer pittoresken Naturschönheit wohnen, die sie den poetischen Reisenden oft zu zeigen genöthigt sind, dann entsteht bei ihnen eine Art mechanischen Glaubens, daß das Ding, der Fels, oder das Thal wirklich schön sei, ob sie sich gleich im Innern keinen Grund anzugeben wissen, warum ein frisch gepflügter Acker nicht noch schöner sein sollte. Dabei kann ich mich nicht enthalten, an den gewöhnlichen Engländer zu denken, den ein Deutscher über den Shakespear zur Rede stellt.
Es hat vieles Geschwätz über Shakespear dies- und jenseits des Meeres gegeben: aber noch niemand hat sein Recht bewiesen, von Auswüchsen des Genies, von Fehlern und Ausschweifungen in den Werken des Dichters zu reden; und so kommt den Geschöpfen des Augenblicks nichts weiter zu, als sich gläubig, anschauend und sinnend an den Busen des alten Meisters hinzulegen, jeden Zug seiner Wimpern, jedes leise Rühren seiner Lippen fromm und demüthig zu belauschen, sich hinzugeben und leiten zu lassen, im ganzen Sinne des Worts. –

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Letzte Aktualisierung 29-Mär-2003
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