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Adam Müller, I. Prolegomena einer Kunst-Philosophie, 3-27; darin: 12-17

3.

Setzen wir auf einen Augenblick den Begriff des Handelns in seinem größten Umfange fest: Denken, Erkennen, und welche unsichtbare Thätigkeit des Menschen wir haben unterscheiden mögen, sind nichts anders als eben so viele einzelne Offenbarungen eines allgemeinen Handelns. Wollen wir auf irgend eine mögliche Weise zur Anschauung dieses Handelns gelangen, so müssen wir es in zwei nothwendige Elemente zerlegen, demnächst diese zwei Elemente mit Selbstthätigkeit organisch verbinden, dann das aus dieser Verbindung hervorgehende Einfache wieder im Gegensatz gegen die beiden Elemente betrachten u. s. f. – Alles Handeln setzt voraus ein Handelndes und ein Behandeltes, mit andern Worten ein Thätiges und ein Leidendes. Bevor wir nun zeigen, wie der Begriff des Handelns aus diesen zwei Elementen her- <13:> vorgeht, müssen wir uns lebhaft daran erinnern, daß Leiden und unthätig sein, behandelt werden und nicht handeln, keineswegs gleichbedeutende Ausdrücke sind: daß wir demnach nicht sagen dürfen: alles Handeln setzt voraus ein Handelndes und ein nicht Handelndes, ein Thätiges und ein Unthätiges. Wir stehen hier an der bei weiten entscheidendsten Stelle unsrer Untersuchungen. Wenn wir z. B. mit möglichster Gewalt einen Hammer auf eine Stange Eisen losschlagen lassen, so werden wir im gemeinen Leben kein Bedenken tragen, dem Hammer oder uns, denen, die den Hammer führen, Thätigkeit, hingegen dem geschlagenen und durch den Schlag gekrümmten Eisen Unthätigkeit zuzuschreiben. Wenn wir nun mit gleicher Thätigkeit und Gewalt anstatt des Hammers die Faust auf die Stange Eisen niederfallen ließen, so würde ein sehr empfindlicher Schmerz uns an eine gewisse Gegenthätigkeit des Eisens erinnern: wir würden zugeben müssen, daß zwar unsre Faust thätig gewesen und das Eisen einige Veränderung seiner Gestalt habe leiden müssen, daß dagegen unsre Faust eben sowohl und noch mehr von der Thätigkeit des Eisens habe leiden müssen. Vom Blasebalg, von den Werkzeugen, die in unsrer Werkstatt umher lagen, konnten wir sagen, sie seien im Bezug auf unsre Handlung unthätig; aber wir, und das Eisen vor uns, waren einander wahrhaft gegenthätig: die Thätigkeit des Eisens war die Bedingung unsrer Thätigkeit. – Ein anderes Beispiel aus der Geschichte der neueren Philosophie: Fichte in seinem Naturrechte begründet die Rechte des Mannes über die Frau in der Ehe, auf die vermeintliche absolute Thätigkeit des Mannes und die Unthätigkeit der Frau im Beischlaf, da sich hingegen nicht blos in diesem, sondern in jedem möglichen Verhältniß der Geschlechter, die größte Gegenthätigkeit und Wechselwirkung zeigen ließe, und sich vielleicht an keinem andern Beispiele so deutlich ergeben würde, wie man sich den Begriff des Leidens immer falsch denkt, wenn man etwas anderes als Gegenthätigkeit darunter versteht.  *) Anmerk. 1.
Ein Verhältniß, ein Handeln läßt sich nicht eher betrachten, als bis beide Glieder des Verhältnisses, als bis beide Elemente der Handlung mit gleicher Ruhe und Unpartheilichkeit erkannt werden. Als wir in der Absicht das Eisen zu behandeln und zu krümmen mit dem Hammer niederschlugen, nahmen wir die Parthei des Hammers, hingegen, als wir nachher die Wirkung des Schlages auf das Eisen beobachteten, als wir unsre Behandlung des Eisens behandelten, sahen wir, in wiefern das Eisen uns nachgegeben oder widerstanden habe, wir betrachteten ruhig den Gegensatz von Hammer und Eisen, um bei einem zweiten Schlage kräftiger, wirksamer und geschickter die Parthei des Hammers nehmen zu können u. s. f. Gab es aber in dieser Reihe von Handlungen, eine Handlung die absolut partheiisch zu nennen war, und schwebten wir im andern Augenblick mit reiner Unpartheilichkeit über den Gegensatz von Hammer und Eisen? – Auf den ersten Anblick erscheinen Bewegung und Ruhe, Thätigkeit und Unthätigkeit, Schlag und Betrachtung einander abzulösen, aus absolutem Wechsel von beiden scheint die alle einzelne Handlungen umfassende Handlung des Schmiedens zu bestehn. Untersuchen wir es indeß näher, so zeigt es sich <14:> anders. Was sollte geschehn? eine gerade Stange Eisen sollte gebogen werden, die eine Hälfte der Stange sollte aus ihrer Lage gebracht werden. Indem wir also losschlugen, schwebten wir schon über den Gegensatz der beiden Hälften der Stange, indem wir auf die eine Hälfte losschlugen, mußten wir zugleich die andre in ihrer Lage erhalten. Hätten wir absolut partheiisch auf die eine Hälfte losgeschlagen, und nicht zugleich die Gegenthätigkeit der andern Hälfte durch unser Festhalten noch verstärkt, so würden wir ewig nichts bewirkt haben. Mein Werkzeug, ich, der Schmied, der Inbegriff von schlagendem Hammer und festhaltender Hand – soll die Thätigkeit genannt werden: meine Gegenthätigkeit ist der Streit, der Gegensatz in der Stange, der durch mich geschlichtet und aufgehoben werden soll. – Der Schlag ist geschehn: ich betrachte die Wirkung, die Stange hat sich etwas gekrümmt. Meine Thätigkeit zeigt sich nun unter einer neuen Gestalt, unter der Gestalt des Betrachters, des Beurtheilers. In dieser thätigen Betrachtung erscheint anstatt des vorherigen Gegensatzes der beiden Hälften, nun der Gegensatz gebogene Stange und biegender Schmied. Ich werde unter dieser Betrachtung zu einem zweiten höheren besseren Schmied, der sich in einem zweiten wirksameren Schlage äussert u. s. f. Der Faden meiner Thätigkeit ist bei der ganzen Operation nicht einen Augenblick abgerissen; allzeit hat unter der Gestalt eines Gegensatzes ein wahrhaft Gegenthätiges mir gegenüber gestanden, wonach mein Handeln, wie nach meinem Handeln das Gegenhandeln mir gegenüber sich modificiren mußte. Werkzeug und Eisen waren nur wechselnde, vermittelnde Mittler zwischen Kraft und Gegenkraft, die hier wechselwirkend operirten. Nennen wir im Gegensatze des sichtbaren gleichsam angewandten Schmiedes, die unsichtbar, unfixirbar operirende Kraft den reinen Schmied, und im Gegensatze des sichtbaren angewandten Eisens, die unsichtbar, unfixirbar operirende Gegenkraft, das reine Eisen, so haben wir es mit nichts minderem als dem Handelnden und dem Behandelten zu thun, die beide ich im Anfange Elemente des Handelns nannte. – Wir, in diesem ganzen Beispiele haben den Gegensatz von Handelnden und Behandelten wieder behandelt, den Gegensatz von Schmied und Eisen wieder geschmiedet; dieser Gegensatz war die Gegenthätigkeit unsrer thätigen Betrachtung. Hätten wir auf Rückwirkung, auf Gegenthätigkeit im Behandelten keine Rücksicht genommen, behauptend, der Schmied sei ein handelndes, vernünftiges Wesen, das Eisen dagegen eine rohe leblose Materie, das Eisen sei bloße Negation, sei bloßes Nichtich, im Gegensatze des Ichs von dem Schmiede, wie Fichte gesagt haben würde, so hätten wir in der Darstellung der ganzen Operation, nicht aus der Stelle, nicht einmal bis zum ersten Schlage kommen können, unser Schmied würde ins Blaue hinein geschmiedet und wir ins Blaue hinein philosophirt haben. Recht kräftigen, recht thätigen Naturen, lebhaften Kindern, tüchtigen Handwerkern würden wir mit unsrer Lehre von der Gegenthätigkeit des behandelten Stoffs nichts neues gesagt haben; sie wissen recht gut, daß ihr Spielzeug, ihr Handwerksmaterial, sein Gegenleben, seine Gegenpersönlichkeit hat: sie sprechen mit ihm, sie leben mit ihm: nur kränklichen oder einseitigen Philosophen muß man dies Gegenleben bewei- <15:> sen. – Die Aufmerksamen ahnden vielleicht schon, wie nahe wir an dieser Stelle der wahren Lehre von der Posie stehn, wie der Tod als Zustand, als bestimmter bleibender Stoff mit dieser Ansicht unverträglich ist, und wie alles Leben unendliches Gegenleben voraussetzt. Verlassen wir indeß den Weg der ruhigen Untersuchung nicht zu früh, belohnen wir uns mit Aussichten in die Unendlichkeit nicht eher, als bis wir der Festigkeit und Gefahrlosigkeit unsers Standpuncts gewiß sind.
Zugleich mit dem einfachen Begriff des Handelns ist eine Zweiheit, eine Trennung gesetzt, ein Gegensatz vom Handelnden und Behandelten, von Action und Reaction, von Thätigkeit und Gegenthätigkeit, von Kraft und Gegenkraft. Weder von dem Gegensatz des Handelnden und des Behandelten, noch von der beiden gemeinschaftlichen Einheit des Handelns können wir behaupten, daß eines vorangehe: 2 und 1, Gegensatz und Identität werden entweder zugleich als gleich nothwendig und wesentlich gesetzt, oder sie werden gar nicht gesetzt. Der Künstler bildet aus zwei Elementen sein Werk, 1) aus einer Mannichfaltigkeit von Erscheinungen die ihm die Natur darreicht, 2) aus einem einfachen Gedanken, den er von der Kunst, von dem Kunstgefühle in ihm, erhält. Zwei streitende Charactere, z. B. Tasso und Antonio sollen dienen und unterthänig sein einer künstlerischen Idee, z. B. der Einheit aller Kunst, der Staatskunst, der Kriegskunst, der Dichtkunst. Versuchen wir das Bildungsgeschäft des Künstlers näher zu betrachten. Auf der einen Seite der Gegensatz unter den widerstrebenden Gestalten, Dichter Tasso und Staatsmann Antonio, jeder mit großen, lebendigen Ansprüchen, daß der Sieg und der Lorbeer ihm und seiner Kunst zu Theil werde; jeder von beiden kräftig, reich und beredt genug, um den Dichter auf seine Parthei herüber zu zwingen. Auf der andern Seite der Künstler, oder vielmehr die Ahndung der Einheit, des Friedens zwischen beiden, die Ahndung einer die Dichtkunst und die Staatskunst vereinigenden Kunst. Man bemerke wohl, mit einem vollendeten Heldengedichte tritt Tasso auf: er hat in der Darstellung seines Gottfried von Bouillon schon gefühlt, wie „gleiches Streben Held und Dichter bindet,“ er hat gefühlt, wie der Dichter sich am liebsten zum Helden und zu seinen Thaten hinneigt. Er hat den Gegensatz vom Helden und Dichter, vom hohen Leben und von hoher Poesie schon einmal aufgelöst. Die Einheit, die er gefunden, aber muß wieder dahin, sie muß zerspaltet werden in ihre Elemente, damit ein andrer Dichter, Göthe, einen andern tieferen und innigeren Verein zwischen Leben und Poesie schließen könne. Handelndes und Behandeltes, Dichtergeist und die Thaten des heiligen Krieges haben sich zu einem einzigen gemeinschaftlichen Handeln, zu einem einfachen poetischen Geiste verbunden: dieses Handeln heißt Tasso: Handelndes und Behandeltes, höherer Dichtergeist, und die Leiden des Dichter Tasso verbinden sich zu einem noch höheren Handeln, zu einem poetischen Ganzen: dieses Ganze heißt Göthe. Es ließe sich ein noch erhabenerer Genius denken, der den jugendlichen Vollender des Schauspiels Tasso, Göthen einführte, mit dem eben beendigten Werke, und aus dem eben geschlossenen Frieden, durch die Disharmonie der <16:> Welt, oder des Dichters mit ihr, eine neue noch furchtbarere Zwietracht zwischen Kunst und Leben erzeugte, um einen noch reineren Frieden zu schließen. Und so würde, wie wir im Schauspiel Tasso den Lorbeerkranz von Tassos Haupt auf Göthes übergehen sehn, der schöne Preis, von diesem auf die Stirne des Höheren versetzt, steigen, und weiter steigen, und endlich das Gebet des Tasso erhört und er zwischen Wolken verklärt werden. – Greifen wir aus den drei Gestalten Tasso, Göthe und dem Unbekannten, die gemeinschaftliche Einheit heraus, und nennen wir sie Geist der Poesie, Lebensgeist. – Wie erscheint er uns? – Allenthalben einem Gegensatze gegenüber, einen Gegensatz vermittelnd: er steht im Gegensatze mit einem Gegensatze. Der Gegensatz streitender Charactere und Situationen ist die Antikraft, gegen die die Kraft des Dichters und seines Gedankens streitet, damit die Gegenkraft sich nach der Kraft, die Kraft nach der Gegenkraft bequeme, und so aus recht kräftigem Streite der recht innige Friede hervorgehe. Die Natur soll aus dem Gegensatz sprechen, sie soll sich als tiefer, unergründlicher Streit der einzelnen Naturen darstellen: die Kunst spreche aus dem dichtenden Lebensgeist, sie erscheine als alle Tiefen der Natur durchdringender triumphirender Friede. Und wir, die wir über den Gegensatz von Natur und Kunst, von Leben und Poesie philosophirten und dichteten, wollen uns, weil wir doch immer einen Gegensatz vor uns haben, einen Gegensatz behandlen, einem Gegensatze gegenüber stehn, um deswillen Antigegensatz nennen. Heiße der alle Gegensätze der Formen des Lebens durchdringende Lebensgeist ebenfalls Antigegensatz: auch dem oben erwähnten reinen Schmied, er möge schmieden oder das Geschmiedete betrachten, können wir den Namen Antigegensatz nicht verweigern. –
Es liegt in dem von mir gewählten Ausdruck: Antigegensatz schon angedeutet, daß das Wesen, welches ich damit bezeichne, nie als absolutes, letztes erscheinen könne: anschaubar ist der Antigegensatz nie anders als in und neben dem Gegensatze, und in demselben Augenblick, wo ich ihn dem Gegensatze gegenüber stelle, giebt es in mir schon einen andern höheren Antigegensatz, der den vorigen Antigegensatz dem Gegensatz entgegenstellt. Fichte versuchte in seiner Wissenschaftslehre mit seinem reinen Ich dasselbige zu bezeichnen, was ich mit einem barbarischen, minder einfachen Worte, aber, wie mir scheint, auch um so ausdrucksvoller bezeichne. Er setzte ein reines Ich, welches sich selbst wieder im Gegensatz mit dem Nichtich setzte: so entstand, trotz allen Protestationen des Setzers, ein dreifaches: zwei gesetzte Glieder, ein gleichsam angewandtes Ich und Nichtich, und ein reines, beide setzendes Ich. – Dieses reine, ungesetzte und doch von Fichte gesetzte Ich, sollte die absolute Thätigkeit, das absolute, selbst nicht wieder behandelt werdende Handeln ausdrücken. Es war eine Einheit, der keine Zweiheit entgegenstand und deshalb absolut nichts. Der Philosoph übersah, daß er selbst wieder ein einzelnes Glied in der philosophischen Reihe, des über ihn philosophirenden Natur- und Weltgeists war. Still, einsam und todt blieb die Darstellung stehn, die bewegt und lebensvoll sich in den Strom der Philosophie des Universums zu ergießen streben sollte. <17:>
Wenn wir den Menschen im Kampf mit der Natur betrachten, wenn wir die Kraft mit der Gegenkraft streiten, wenn wir das Ich dem Gegenich gegenübersehn, so giebt es allerdings in dem Augenblick ein reineres Ich; ein Ich das den Gegensatz von Ich und Gegenich betrachtet, ein Ich, dessen Gegenich der vorige Gegensatz von Ich und Gegenich genannt werden möge. Übersehen wir aber nie, daß wir kaum dieses reinere Ich schauten, als wir schon genöthigt durch den unmittelbar sich daneben stellenden Gegensatz des vorigen Ichs und Gegenichs, einen reineren Gegensatz, und deshalb ein noch reineres Ich annehmen mußten, und so ins Unendliche fort.

Emendation:
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