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<Adam Müller>, XIII. Über das deutsche Familiengemälde, 49f.

XIII. Über das deutsche Familiengemälde.

Ich würde sehr falsch verstanden werden, wenn man mich in dem Verdacht hätte, als meinte ich, daß das bürgerliche Leben und die Familie nicht auf die Bühne gehörten. Nicht in dem Gegenstande, in der zufälligen Charge der Personen, nicht darin, daß uns „Pfarrer, Commerzienräthe, Fähndriche und Husarenmajors“ auf die Bühne gebracht werden, liegt die Nichtswürdigkeit unsrer Familiengemälde, sondern in der Art wie sie gezeigt werden, nemlich, als ob um ihrentwillen die Welt da sei, als ob von regelmäßiger Haushaltung, von Pünctlichkeit in den Amtsgeschäften, von der Zufriedenheit, die daraus erwächst, daß man niemanden etwas schuldig ist, von der Entlarvung irgend eines Hausbösewichts, so wichtig und schätzbar auch diese Dinge sind, nun gleich ein goldnes Zeitalter zu erwarten stehe. Allerdings ruht auf dem Wohl der Familien das Glück des Staates und so der Menschheit, der Familie aller Familien. Aber das Wohl der Familien ist doch auch noch nicht zu Stande gebracht, wenn die Hauspolizei wieder mit Strenge verwaltet wird, wenn ein tüchtiger Onkel mit Geld und derben Worten die Haushaltungsbücher in Ordnung gebracht hat, wenn der Jugend ihre Sprünge, ihr Schuldenmachen, ihre Liebschaften gelegt sind, und im letzten Act der Fürst mit seiner Gnade ausgeholfen, und die schändlichen Minister und Präsidenten abgesetzt hat, gegen die weder der Dichter noch seine Hausväter und Oheime Rath wußten. – Wenn solch ein deutsches Familiengemälde zu Ende gebracht ist, so muß man freilich gestehn, daß die äußre Noth vorläufig und auf wie lange es halten will, ziemlich reparirt ist, aber wer steht uns für den innern Reiz zur Sünde, der immer noch zurückbleibt, ferner, für die Haltbarkeit der moralischen Besserung und der schönen tugendhaften Entschlüsse, die vornehmlich die Jugend in dem fünften Acte hat spüren lassen. Es ist schön und brav von Iffland, daß er meistentheils am Ende die Jungen sich zur Lebensart, zu den Sitten und dem hausmännischen Leben der alten Leute bequemen läßt; der Kotzebue ist schon unmoralischer; der steht dem Scherz und der Unterhaltung zu Gefallen sehr oft den Jungen bei, und bringt sie wohl gar erst auf die rechten Künste und Listen, und hilft ihnen die Alten hintergehn. Aber wenn in allen diesen bürgerlichen Dramen nur etwas tiefer gegriffen würde, wenn es nur nicht immer auf Familien hinaus käme, die den Menschen zu vergleichen sind, von denen man sagt, daß sie nichts Böses aber auch nichts Gutes thun; was hilft uns die ganze Dienstpflicht, die Iffland predigt, wenn der Feind das Land überschwemmt und alle die schönen Dienstverhältnisse aufhören. Bei schönem Wetter und gutem Boden ist es leicht ein guter Landwirth sein, aber wenn es stürmt und der Boden wankt, da hülle sich einmal einer in seine Unschuld, Redlichkeit und gewissenhafte Treue gegen den vorigen Dienst: wenn die Noth anhebt, die Contributionen drängen und die Gehalter zurückbleiben. <50:>
Tiefer gegriffen in das Herz der Familien und der Menschen! Abgesehn von den äusseren Verhältnissen, von den Lumpen, die der Augenblick, die Umstände und die Convenienz dem gewaltigen Wesen umhängen, das in jedem Busen schlägt! oder vielmehr mit der Flamme des Witzes ergriffen und verzehrt diese Unwesentlichkeiten, damit das spröde Herz drinnen geschmiedet werden könne menschlich und weich – so erzeugt sich das ächte Familiendrama. – Wenn sich der Sohn, der dem Vater durch liederliche Lebensart Verdruß und Kummer bereitet, in der Reue gebehrdet, wie Orest der die Mutter gemordet, oder wenn sich ein verführtes und verlaßnes Mädchen gebehrdet wie eine Ariadne oder Medea, so ist dies freilich lächerlich und unschicklich – aber in den einfachsten Familiensituationen unsres häuslichen Lebens walten noch dieselben Mächte, die im Hause der Atriden herrschten. Wie manches verborgene Schicksal wird auch bei uns mit Adel getragen; wie rhythmisch, wie harmonisch, wie würdig des Kothurns, wie heroisch wird noch heut gehandelt und gelitten!
Ich verachte das bürgerliche Drama nicht: ächte Kunst klebt nicht an diesen äusseren Formen und Hüllen, also braucht sie selbige auch nicht unbedingt zu verachten und zu verwerfen. Vielmehr kann sie ihre wahre Freiheit zeigen, wenn sie aus ungeschickten Formen der Convenienz und des bürgerlichen Lebens, ohne sie, die auch ihren vergänglichen Werth haben, zu zerstören, mit alter Freiheit und altem Glanze der Poesie hervorbricht.

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Letzte Aktualisierung 30-Mär-2003
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