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Ferdinand Hartmann, XIX. Über Kunstausstellungen und Kunstkritik, 57-71; darin: 64-71

Wenn Herr v. R. behauptet, daß Herr Fr. das Crucifix auf seinem Bilde von unten auf beleuchtet, und ihm mit Valencienne und Lairesse beweist, daß er dadurch gegen alle Regeln der Optik gefehlt habe, so pflichte ich allerdings dem, was diese Männer über eine solche Beleuchtung sagen, vollkommen bei, nur Herrn v. R. muß ich widersprechen, indem dieser Ausspruch auf das Friedrichsche Bild gar keine Anwendung leiden kann. Denn das Crucifix ist hier durchaus nicht beleuchtet; es glänzt nur (als ein polirter Körper) in dem Purpur-Reflexe des Abendroths. Was Herr v. R. bei dieser Gelegenheit vom Prisma der Sonnenstrahlen spricht, verstehe ich gar nicht, aber seine Meinung, daß Herr Friedrich durchaus keine Strahlen in der Luft habe sehen können, muß ich widerlegen, weil ich dies verstehe, und Herr v. R. alle Abende, wenn die Luft mit Dünsten angefüllt ist, eine ähnliche Wirkung in der <65:> Natur wahrnehmen kann. Wäre von dem Kritiker behauptet worden, daß Herr Friedrich seinen Berg mit der Luft in harmonischere Verbindung hätte bringen können, so würde ich ihm beipflichten; aber es ist hart und ungegründet, wenn er sagt, daß die Erdmasse einen blaubraunen höchst einfärbigen Ton habe, und in schreiendem Contrast mit dem lichten Himmel stehe. Daß Herr v. R. mit dem Künstler darüber nicht streiten will, ob die rothen Streifen, mit denen die Wolken besäumt sind, nicht in eine Gegend ihrer Wölbung gehören, die im Zenith des Beschauers stehet, darin müssen wir ihm völlig Recht geben, indem er bei diesem Streite nur verlieren könnte, da die Brechung des Lichts in den Dünsten allein diese Wirkung hervorbringen kann, sie also im Zenith völlig unmöglich ist.
Herr v. Ramdohr läßt sich hierauf sehr mißbilligend darüber aus, daß einige Maler, die sich erst in spätern Jahren der Kunst ausschließend gewidmet haben, und den Mangel einer frühern technischen Bildung fühlen, sich dadurch zu helfen glauben, daß sie ihre Aufmerksamkeit verdoppeln, die Natur so ängstlich als möglich zu copiren, dem Beispiele des Albert Dürer und einiger andern ältern Meister folgen, die jedes Haar im Barte, jede Faser in der Pflanze mit sorgsamen Fleiße nachbilden, und dadurch glauben, ihren Werken den eigentlichen National-Character der Deutschen, biedere, treue und anspruchslose Wahrheit aufzudrücken. Indeß meint er aber, daß diese Herren vergessen, wie unser Zeitalter an den großen Styl des Michael Angelo, Raphael in seiner spätern Zeit, der Carrache gewöhnt, ein Bedürfniß dieses fehlerhaften Luxus erhalten habe. Er bemerkt sehr richtig, daß für das (wie er es zu nennen beliebt) nun freilich einmal durch die Raphael, Michael Angelo und Carrache höchst verdorbene und entwöhnte Zeitalter, schwerlich Compositionen in dem Geschmacke Albrecht Dürers ausgeführt werden dürften, von denen es die Neben-Idee der harten, ängstlichen, steifen und geschmacklosen Nachäffung trennen könnte. – „Bis dahin, (sagt Herr v.  R.) daß jene Herrn dies Wunder verrichten, will ich, der ich das Unglück habe, um funfzig Jahre zu spät geboren zu sein, um statt der Bildung, die ich durch die classischen Werke der Alten und Neuen erhalten, durch die Werke aus der ersten Kindheit der Kunst zum Gefühl des Schönen angezogen zu sein, ich sage, ich will wenigstens unterdessen vor den Abwegen warnen, welche das ängstliche Bestreben, die Natur fein zu copiren, so leicht herbeiführen kann.“
Herr v. R. macht nun weiter Ausfälle gegen die Historienmaler, die sich Jahre lang Modelle sitzen lassen, und in Ermangelung dieser, sich bald von dieser Person eine Hand, von jener ein Haar, zusammen betteln, oder gar zum Gliedermann, oder zu Modellen von Thon und Wachs, ihre Zuflucht nehmen, und statt die Natur darzustellen, die abentheuerlichste Alfanzerei hervorbringen.
Auf wen eigentlich dieser Ausfall gerichtet ist, weiß ich nicht, und kann mir es auch, so sehr ich mir schmeichle, mit dem Streben der jetzt lebenden deutschen Künstler bekannt zu sein, nicht einmal denken. Den französischen Malern wurden <66:> in neuerer Zeit öfter ähnliche Vorwürfe gemacht, aber was haben die mit dem Character der Deutschen zu schaffen. Wie der Seitenhieb, der beträchtlich über eine Kolumne einnimmt, hieher gehört, weiß ich in der That nicht, so viel aber doch, daß er keineswegs die Frage: läßt sich die angegebene Naturscene malen, ohne die wesentlichen Vorzüge der Landschaftsmalerei aufzuopfern? beantworten hilft. Herr v. R. sucht zwar dadurch wieder einen Übergang, oder vielmehr einen Sprung auf diese Art von Malerei zu machen, daß er sagt, es sei das ängstliche Copiren der einzelnen Gegenstände gerade dem Zwecke am meisten entgegen; denn in der Landschaft biete sich alles als Masse dar, und leide durchaus kein anderes Detail als gerade nöthig sei die Masse zu characterisiren. Da dieser Kunstrichter gleich anfangs in seinem Aufsatze äussert, daß er keiner andern Meinung, als der, der längst anerkannten großen Meister, des Claude, Lorrain, des Poussin und Ruisdael zugethan sei; so erlaube er mir, daß ich jetzt gerade diese Männer zu Widerlegung seiner Behauptung anführe. Gewiß hat nie ein Künstler mit zarterem Sinn die Natur in ihren feinsten Nüancen aufgefaßt und wieder gegeben, als Claude. Man könnte aus seinen Landschaften die Botanik erlernen, so sind die Pflanzen und Blumen in den Vorgründen ausgeführt. Aber komisch genug, gerade diesem Künstler, der alles das Einzelne wie das Ganze zur größten Vollendung ausbildete, macht Herr v. R. in seinem Buche über Malerei und Bildhauerei in Rom, \1\ den Vorwurf, daß die Form der Blätter seiner Bäume nicht hinreichend bestimmt sei, obschon sein Baumschlag sonst sehr viel Abwechselung habe. Auch muß ich bei dieser Gelegenheit den kritischen Mann an das erinnern, was er in seiner Charis \2\ zu vernehmen giebt. „Die Belustigung, welche die schönen Künste dem wohlerzogenen Menschen zuführen wollen, kann in Gemäßheit ihres Wesens, diesen gar nicht anders zugeführt werden, als durch einen vollständigen und richtigen Schein eines specifiken Körpers in der Natur.“ Und in demselben Buche \3\ sagt er, „der Kohlkopf im Gemälde muß nicht blos ein Kohlkopf überhaupt, allenfalls mit besondern Merkmalen einer guten Vegetation dargestellt sein; sondern der Kohlkopf, den ich in diesem oder jenem Garten, in dieser oder jener Reihe, gerade so neben andern Gewächsen und Gegenständen gesehen zu haben glaube.“ Es sollte mir ein leichtes sein, aus Herrn v. R. eigenen Schriften, ein paar Dutzend Stellen für, und eben so viel gegen das, was er über das Vollenden des Einzelnen und die Nachahmung der Natur von sich hören läßt, anzuführen. Ich begnüge mich aber, ihn mit diesen wenigen auf seine Inconsequenz aufmerksam zu machen. Indem sich der Kunstrichter darüber ereifert, daß sich die Künstler jetzt gar zu sehr an die Natur halten, erklärt er es für eine Unmöglichkeit, größere Gegenstände der Natur selbst nachzubilden. Herr v. R. vergißt, oder weiß es gar nicht, daß die Künstler gewöhnlich einzelne Gegenstände der Natur zu ihren Studien benutzen, und indem sie an ihnen ihren Sinn für Wahrheit, Characteristik und Individualität ausbilden, und ihre Hand üben, das Beobachtete wieder zu geben, dasselbe ihrem Ge- <67:> dächtniß einzuprägen trachten, daß sie also nicht nöthig haben, ein ganzes Bild nach der Natur zu malen, was ja auch dem Zwecke der Kunst entgegen sein würde. Diejenigen Menschen, denen es durchaus an Phantasie gebricht, können sich freilich nie eine Idee von dieser freien Schöpfungskraft machen. Es bleibt ihnen ewig unbegreiflich, wie andere aus eigener Fülle und Kraft hervorzubringen vermögen, sie müssen daher auch die Kunst immer nur für das halten, was ihr Wissen ist, für loses, thörichtes Flickwerk. Daß aber nun Herr v. R., der Verfasser dreier Bände, über Liebe, moralischer Erzählungen, und so vieler Schriften über die Kunst, dieses Geheimniß der Kunst-Production nicht kennt, wird vielen unglaublich scheinen. Allein, er behauptet schon früher, daß Herr Fr. den Gegenstand, den er zu seinem Bilde wählte, in der Natur gesehen haben müsse, und nun sagt er vollends, da er dieser nicht habe habhaft werden können, um ihr alles getreu nachzubilden, so habe er sich mit einem Modell von Thon oder Wachs beholfen, worin er Tannen und Fohrenreiser gesteckt, und statt der Felsen Granitkiesel und Moos eingedrückt habe. Diese Masse hätte er nun mit einem Lichte von hinten beleuchtet, sich davor gesetzt und fleißig danach portraitirt. Ich will das Hämische nicht rügen, welches in dieser Behauptung liegt, ich will der Unwahrheit nicht dadurch begegnen, daß ich sage, ich habe das Bild entstehen sehen; daß das Werk das ganze Publicum ansprach, widerlegt die Behauptung von selbst. Was nicht aus dem Herzen kommt, kann nicht zum Herzen dringen, alles was der bloße Verstand mit Mühe und Sorgfalt zusammensetzen kann, wird uns immer fühllos und kalt lassen.
Das Wachs scheint übrigens zur fixen Idee bei diesem Kritiker geworden zu sein, und es ist ein Unglück, daß er es nie aus dem Kopfe bekommen kann, wenn er über Kunst Gericht hält. So sagt er zum Beispiel in seinem Buche über Malerei und Bildhauerei in Rom \4\ von Michael Angelo: „ In seinem Colorit, im Helldunkeln, scheint er sich gefärbte Wachsbilder zum Vorbilde genommen zu haben, die ein Ungefähr vereinigt hat,“ und in demselben Buche von Raphael: \5\ „Er scheint inzwischen nach kleinen Modellen von Thon oder Wachs gearbeitet zu haben, die er der Perspective und der Anordnung wegen zusammen stellte. Wenn diese von ungefähr eine glückliche Abwechselung von Licht und Schatten hervorbrachten, so trug er sie getreu in sein Gemälde über.“ Kurz, mit seinem Wachse sucht er jedem etwas anzukleben.
Die zweite Frage des Herrn v. R. heißt: Ist es ein glücklicher Gedanke, die Landschaft zu einer bestimmten religiösen Idee, oder auch nur zu Erweckung der Andacht zu gebrauchen?
Er sagt bei dieser Gelegenheit, daß man schon lange Zeit davon gesprochen habe, die Landschaft könne noch idealisirt werden, und daß hier noch viel für den modernen Künstler zu thun sei. Er beehrt dieses mit seinem Beifall, nur, fügt er hinzu, <68:> müsse er, wenn er sich eine Stimme dabei anmaßen dürfte, drei kleine Bedingungen machen. Die erste davon wäre, daß dieses Idealisiren nur solchen Künstlern erlaubt würde, welche den mechanischen Theil der Kunst völlig inne haben. Zweitens, sei es nöthig, daß er mit dem Künstler über den Begriff des Idealisirens erst eins werde, und dann drittens müsse er sich ganz gehorsamst verbitten, daß es nicht auf dem Wege des Allegorisirens geschehe, den Herr Fr. eingeschlagen habe. Zuerst bemerke ich, daß der Kritiker zwischen Allegorisiren und aus Idee dichten, eine bestimmte Idee oder Empfindung mit einem Bilde ausdrücken, nicht gehörig unterscheidet, und indem er gegen Allegorie zu sprechen glaubt, sich gegen die Bedeutung, gegen den Sinn auflehnt, also Unsinn in der Kunst zu verlangen scheint. Wir haben dagegen nichts einzuwenden, nur bitten wir, daß uns derselbe nicht aufgetischt werde, besonders, da nach Herrn v. R. Meinung, die nachbildenden Künste bei dem Eindruck, den sie hervorbringen wollen, hauptsächlich auf die Associazion der Ideen rechnen, welche die dargestellten Gegenstände erwecken, sie also auch unsinnige Ideen in uns hervorbringen müßt. Aus dieser Ansicht ließe sichs denn auch erklären, was mir anfangs unbegreiflich war, daß ein einziges Bild so viel Unsinn und Narrheit in der Welt verbreiten könnte, daß der Geschmack und das Zeitalter darin untergehen müßten.
Was mich betrifft, so finde ich in Herrn Fr. Bilde keine eigentliche Allegorie, die nur eine Sache oder Eigenschaft anzudeuten, fremde Gegenstände borgt, welche dieselbe nur bezeichnen sollen. Doch ich stelle das Bild nochmals vor die Augen des Publicums. Hoch auf dem Gipfel eines Felsen stehet das Kreuz, umschlungen von immer grünenden Epheu, und von immer grünen Tannen umgeben, strahlend sinkt die Sonne nieder, und im Glanze des Abendroths leuchtet der Heiland am Kreuze. Wohl fühle ich, daß der Künstler eine Idee mit dieser Darstellung verband, und sie wird mir klarer, deutlicher und bedeutender, jemehr ich mich der Betrachtung seines Bildes hingebe. Ist hier aber Allegorie, so hat es auch die Natur an sich, daß sie stets allgorisirt, und die Frage, ob es möglich sei, mit einer Landschaft eine bestimmte Idee oder Empfindung ausdrücken zu können, wäre denn dadurch schon beantwortet. Character würde Herr v. R. wohl schwerlich in Herrn Fr. Landschaft vermißt haben, wenn er, wie er selbst sagt, nicht blos drei Arten desselben kennte, „nemlich den schnell anstrengenden feierlichen, den allmählich dehnenden, zärtlichen, – und den zum hüpfen einladenden, muntern.“ Es ist keinesweges meine Absicht, durch Aufsuchung anderer Arten desselben, den aufzufinden, welcher Herrn Fr. Bilde eigenthümlich ist; aber eine vierte Art drängt sich mir bei Durchlesung dieser Kritik gar zu gewaltig auf. Das ist der ganz gedehnte, Gähnen und Schlafsucht erregende Character.
Wer es für unmöglich hält, mit der Landschaft Ideen und Empfindungen auszudrücken, und glaubt, daß zu dem Zwecke das angewöhnte Verhältniß der Gegenstände in ein ungewöhnliches verwandelt werden müsse, der kann wohl niemals von <69:> der Natur gerührt gewesen sein. Denn sind es nicht Gestalten, Formen, Bilder, Farben und Einwirkungen des Lichts, wodurch die Natur zu unserm Gemüthe spricht, sind es nicht dieselben Formen, Bilder und Farben, worein sich unsere Phantasie kleidet, wenn sie heraus in die Aussenwelt treten will? Wer aber nie mit der Natur in vertrautem Umgange gelebt, sich nie den Anklängen hingegeben hat, mit denen sie unser Gemüth erfreulich anspricht, dem wird ihre Sprache stets fremd und unverständlich bleiben, für den sollte man freilich, um mich des Ausdrucks unsers Kritikers zu bedienen, die Bäume mit Backwerk belauben, um ihm Interesse und Geschmack für ihre Erscheinung abzugewinnen. Wem aber dieser Sinn für das Hohe und Bedeutende in der Natur abgeht, der wird auch nie in den Geist und das Wesen der Kunst eindringen und ihre Natur und Bedeutung ergründen können, der mag es denn auch als Profanation der Kirche ansehen, wenn ein Poussin in dem Tempel St. Martino al Monti in Rom, die großen erhabenen und rührenden Eindrücke in Bildern wieder giebt, die er vorher in der Natur erhalten hat, der mag wie Herr v. R. ausrufen: „In der That, es ist eine wahre Anmaßung, wenn sich die Landschaftsmalerei in Kirchen schleichen und auf Altäre kriechen will.“
Die dritte Frage: Ist es der Würde der Kunst und des wahrhaft frommen Menschen angemessen, durch solche Mittel, wie Herr Fr. angewandt, zur Devotion einzuladen? beantwortet Herr v. R. eigentlich eben so wenig oder noch weniger, als die vorhergehenden. Er spricht bei dieser Gelegenheit vorzüglich von dem Rahmen der das Gemälde umgiebt, und dadurch im Zusammenhange mit demselben stehet, daß Herr Fr. durch Symbole auf die Gedächtnißfeier dessen hindeutete, der sein Leben für unser Wohl dahin gab, und der in dem Gemälde am Kreuze erscheint. Da die Bilder, deren sich der Künstler hiezu bediente, so klar und deutlich und jedem Christen bekannt sind, so sollte Herr v. R., der selbst die in seinem öfter angeführten Werke, über Malerei und Bildhauerei in Rom \6\ aufgeworfene Frage, wie weit der Künstler mit seinen allegorischen Bezeichnungen gehen dürfe? mit der Antwort abfindet: „So weit als er allen Menschen, die zu dem Genusse der schönen Künste berechtigt sind, verständlich zu bleiben glauben darf,“ als devoter, zum Genusse der schönen Künste berechtigter Mensch und Christ nichts dagegen einzuwenden haben. Dessen ungeachtet nimmt der Kritiker an diesem Rahmen einen dreifachen Anstoß; erstens darum, weil er ihn für einen integrirenden Theil des Bildes hält, ohne den (ihm wenigstens) die Allegorie desselben unverständlich bleiben würde, zweitens, weil Herr Fr. demjenigen Bedeutung und Interesse zu geben suchte, was nur dazu dienen soll, das Bild zu begränzen und einzuschließen, und drittens und hauptsächlich deswegen, weil er, wenn er die Emblemik des Rahmens mit der Allegorie des Bildes zusammensetzt, und die Tendenz des Ganzen erwägt, den Einfluß nicht verkennen kann, den ein jetzt herrschendes System auf die <70:> Composition des Künstlers gehabt hat, nemlich jener Mysticismus, von dem Herr v. R. bemerkt, daß er sich überall einschleiche, aus der Kunst wie aus der Wissenschaft, aus der Philosophie  wie aus der Religion gleich einem narkotischen Dunste entgegen wittere, und ihn für die Folgen der gegenwärtigen Zeit zittern mache, weshalb er an diejenige erinnere, welche gegen das Ende der römischen Monarchie den Verfall der wahren Gelehrsamkeit und des Geschmacks herbeiführte.
Wenn es eine Eigenschaft aller Menschen von wahrer Genialität und von schnell ergreifendem durchdringenden Verstande ist, daß sie sich leicht in die Ideen und Ansichten Anderer zu finden wissen, daß sie alles Neue für eignen Gewinn, für Bereicherung ihres Wissens und ihrer Umsicht betrachten, da sie sich bei allen Erscheinungen mehr an das Positive, an das Schöne und Eigenthümliche halten; daß sie leicht über das Mangelnde und Fehlerhafte wegsehen, und bescheiden von sich und ihren Talenten denken: so scheint es dagegen den Leuten, die als das vollkommne Gegentheil von diesen betrachtet werden können, eigen zu sein, daß sie jede Äusserung einer andern Meinung als die ihrige ist, für eine Beeinträchtigung ihres Wesens, für einen Eingriff in ihr Eigenthum betrachten, besonders wenn sie sich einmal mit Speculation befaßt, und Theorieen aufgestellt oder compilirt, und dadurch andern einen Weg vorgezeichnet und gangbar gemacht zu haben glauben. Wehe dem, der dann keine Rücksicht darauf nimmt, davon abweicht, und ihnen seinen Zoll nicht entrichtet.
Werfen wir nun im Allgemeinen einen Blick auf die Kritik des Herrn v. R., auf den urbanen, höflichen Ton, auf die Würdigung des Talents mit der er beginnt und zu bestechen sucht, auf die Anmaßung und Prätension, mit der er seine Sätze aufstellt, auf die Sophisterei, mit der er sie aus einander setzt, auf das Bild anwendet, und womit er am Ende dem Künstler alles und jedes Verdienst abspricht; ferner auf die Nichtigkeit seiner Behauptungen, die Inconsequenz, womit er zum Beispiel die Künstler auf die Nachahmung des Raphael, Michel Angelo und der Carrache hinweist, nachdem er kurz zuvor gezeigt hat, wie unmöglich es sei, die frühern Meister nachzuahmen, weil sich in ihren Werken der eigenthümliche Character und Geist ihres Zeitalters ausgedrückt habe, wie die Nachahmung derselben in unsern Tagen nur geistlose Nachäfferei sein würde, ferner die Feindseligkeit, mit der er den Bestrebungen neuerer Künstler begegnet, in deren Werken sich das Eigenthümliche ihrer Zeit, die höhern Ansichten der Natur und der Wissenschaft zu entwickeln und zu bilden anfangen, und wie er, der Vielgereiste, ohne eine Ahndung von dem beständigen Wechsel der Dinge zu haben, bei diesen Erstlingen gleich vom Untergang des guten Geschmacks, von Nacht und Barbarei spricht: so wird es wohl leicht sein zu bestimmen, zu welcher Art der oben bezeichneten Geister dieser Kunstkritiker zu rechnen sein möchte.
Ich habe geflissentlich selbst nichts bestimmtes über Herrn Friedrichs Arbeiten aussprechen wollen, weil ich glaube, dies gänzlich dem Publicum und der Zeit über- <71:> lassen zu müssen. Aber ich finde es, um mit Arndt zu sprechen, menschlicher, in dem Höchsten und Tiefsten zu irren, als sich nie von dem falschen Boden elender Sicherheit versteigen; daher muß uns jedes eigenthümliche Streben eines Mannes von Talent und Kraft achtenswerth und interessant sein, indem es uns selbst eine neue Ansicht von der Kunst giebt; wir müssen ihn, wenn er es nur treu und ernsthaft meint, auch in seinen erhabenen Irrthümern ehren, weil er sich selbst opfert, und sich dem Tadel der nüchternen, polirten, untadelhaften Gewöhnlichkeit Preis giebt, für eine Sache, die allen freien Naturen etwas mehr gilt als bloße Belustigung, und welche die heiligsten Gedanken des menschlichen Geschlechts, der Mit- und Nachwelt zu offenbaren, bestimmt ist. Ob im vorliegenden Falle wirklich geirrt worden sei, darüber läßt sich nach gewissen auf Treue und Glauben an Andre hingenommenen, oder aus eigenen engen Begriffen hervorgegangenen Regeln und Theorieen nicht absprechen. Gegen etwanige Nachahmer eines solchen Talents, würde ich mir inzwischen schon eine bestimmteres Urtheil erlauben. Auf welche Kraft sich übrigens der Übermuth des Herrn v. R., den Geschmack seines Zeitalters leiten und lenken, in seinem Fortschreiten oder Verfall aufhalten zu wollen, eigentlich stütze, das will ich nicht blos mit der Widerlegung dieser Kritik gezeigt haben, sondern dem Publicum noch ein Pot-pourri aus dessen gesammten Schriften über die Kunst hinzufügen, wordurch es, wie ich hoffe, selbst in Stand gesetzt werden soll, hierüber zu urtheilen.
Dresden, den 21. Febr. 1809.

Ferdinand Hartmann.

\1\ Th. 2. S. 74.
\2\8. Cap. 7. Buch.
\3\ 8tes Buch 9tes Cap.
\4\ Th. 1, pag. 179.
\5\ Th. 1. pag. 128.
\6\ 3ter Th. Seite 218.

 

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