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Ernst Münch, Heinrich Zschokke, geschildert nach seinen vorzüglichsten Lebensmomenten und seinen Schriften, mit seinen Freunden und Feinden; nebst allerlei über Leben und Treiben, Geist und Ungeist in kleinen Republiken (Haag: Hartmann 1831), 17f.

Freundschaftsbund Kleist, Heinrich Zschokke, Ludwig Wieland


Es bestand zwischen Zschokke, Ludwig Wieland, dem Sohne des großen Dichters, Heinrich Kleist, dem gleich genialen, als nachmals so unglücklichen Verfasser des Käthchen von Heilbronn und der herrlichen Erzählungen, so wie einigen andern jungen Gelehrten, eine Art Göttinger Bund. Man erzählte sich, las sich die Neuigkeiten des Tages, so wie die eigenen literarischen Produkte vor, und zwar theils, um die Zeit angenehm und geistreich sich zu verkürzen, oder um wechselseitig freundschaftliche Kritik gegen sich auszuüben. Mit vieler Laune hat Zschokke seinen spätern Freunden noch oft erzählt, wie Ludwig Wieland, der nicht das mindeste Talent zum Tragöden, sondern vielmehr ein launig-humoristisches hatte, wie sein nachmaliges Leben deutlich bewies, unaufhörlich mit der Idee umging, er sei dazu bestimmt, ein großer Trauerspieldichter zu werden; Heinrich Kleist aber sich anstrengte, witzige und lustige Komödien zu verfassen. Das Unglück wollte, daß die Gesellschaft, worin die Corpora delicti mitgetheilt wurden, über die Trauerspiele Wielands sich halb todt lachte, und über die Lustspiele Kleists sich <18:> halb todt gähnte, was Beide denn oft nicht wenig verdroß. In diesem Zirkel nun war es, daß bisweilen ein und derselbe Stoff auch zu gemeinschaftlicher Bearbeitung übergeben wurde, nämlich so, daß der Eine ihn zu dramatisiren, der Andere in eine Novelle, der dritte in scherzhafte Form zu bringen hatte. Besonders aber liebte man es, vorgelesene Erzählungen dialogisirt aufzusetzen, also, daß auf Privat-Theatern, in Familien-Zirkeln dieselben plastisch dargestellt wurden\1\.
Ein solcher Abend gab dem großen Banditen das Leben. Die Freunde fanden das flüchtige Werk einiger Tage so allerliebst und zweckmäßig, daß man dem Verfasser es nicht wieder zurückgab, an einem Abend es geradezu aufführte, und sogar einer Schauspielergesellschaft in der Stadt, wo die Drei sich gerade aufhielten, zur öffentlichen Vorstellung überlieferte. Abällino entzückte das Publikum; die Aufführung wiederholte sich, auf einstimmige Foderung, und bald besetzte er die vorzüglichsten Bühnen Teutschlands auf eine Weise, daß längere Zeit Niemand ihm Stich zu halten vermochte.

\1\ Die drei Freunde fanden sich nach Beendigung der schweizerischen Revolution zu Bern wieder.

Der Rahmen für Münchs chronologisch fehlerhaften Bericht ist die Entstehung von Zschokkes Drama „Abällino, der große Bandit“, das 1795 anonym erschien und erstaufgeführt wurde; die Dramenfassung beruht auf dem ein Jahr zuvor von Zschokke ebenfalls anonym publizierten Roman gleichen Titels. Kleist hat das Stück nicht geschätzt, vgl. seinen Brief an Wilhelmine v. Zenge, Leipzig, 30. 8.–1. 9. 1800 (BKA IV/1, 220).

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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