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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 94-99

Kleist mit Gauvain und Ehrenberg in französischer Gefangenschaft


IV. Kapitel

Kleist mit Gauvain und Ehrenberg in französischer Gefangenschaft.

Über die Vorgänge bei und nach der Festnahme Kleists und seiner Freunde Gauvain und Ehrenberg können wir uns ein Bild machen aus den zahlreich erhaltenen Briefen Kleists, die er an Ulrike, an Rühle, an den Kommandanten auf Fort Joux und an andere (Maria v. Kleist?) richtete; auch sind uns als wichtige Dokumente das Schreiben Ulrikes an General Clarke und dessen Antwort erhalten.
Offenbar war auf die erste Nachricht von Kleists Internierung sein Freund Gleißenberg herbeigeeilt, der wohl im Interesse Kleists alles in Bewegung setzte, und andere Andeutungen in den Briefen weisen darauf hin, daß der Kleist dankbar ergebene Schlotheim ihn auf den verschiedenen Stationen seines langen Weges nach Frankreich begleitete. Schlotheim hat alles aufgeboten, ihn aus den Händen der Gendarmerie zu befreien; darauf mag sich Kleists Bemerkung beziehen: „wäre dies nicht, so würde ich mir ewig Vorwürfe machen, die Gelegenheiten, die sich mir täglich und stündlich zur Wiedererlangung meiner Freiheit anbieten, nicht benutzt zu haben.“ Kleist hat im Vertrauen auf seine gerechte Sache die Gelegenheit zur Flucht nicht benutzt. Das neue Unglück und die Gefahr, in der er schwebte, konnten Kleist nichts anhaben. Im Gegenteil, aus den Briefen dieser Periode spricht ein gewisser heroischer <95:> Gleichmut, eine Festigkeit und Ergebenheit, ein froher, schaffensfreudiger Mut, der sich erhaben fühlt über die Niedergeschlagenheit seiner trostlosen Mitgefangenen. Schwere Schicksalsschläge im äußeren Leben scheinen auf das psychische Verhalten empfindsamer Naturen mit häufigen nervösen Krisen nicht ungünstig einzuwirken. Auch als Dostojewsky im April 1849 in die Peter-Pauls-Festung gebracht, seinen Tod vor Augen sah, äußerte er in einem Briefe: „Es ist sonderbar, daß meine schreckliche Krankheit verschwand, als ich arretiert wurde. Weder unterwegs, noch bei der Zwangsarbeit in Sibirien habe ich jemals wieder etwas davon verspürt. Ich wurde stark, frisch, kräftig und ruhig.“ Kleist empfand, daß er unter seinen Reisegefährten die Gewalttat am leichtesten verschmerzte, und daß nichts ihn in der Ausführung seiner „literarischen Projecte“ hindern konnte.
So genau wir über die Einzelheiten bei der Internierung und über Kleists seelische Stimmung unterrichtet sind, manches bei diesen Vorfällen ist doch unaufgeklärt und rätselhaft. Die Freunde waren als Spione aufgegriffen worden, die Situation sprach gegen sie trotz aller Beteuerungen ihrer Unschuld, à la guerre comme à la guerre, als Spione mußten sie hingerichtet werden. Die Hinrichtung erfolgte nicht. Welchem Einfluß verdankten die drei ihre Rettung? Während der gefährlichen Entscheidung hatte Kleist Ulrikens Hilfe nicht in Anspruch genommen; der erste Brief, in welchem er sie über alle Vorgänge unterrichtet, ist erst aus Marburg vom 17. Februar adressiert, als die eigentliche Lebensgefahr längst beseitigt war. Und als Ulrike ihr Schreiben an Clarke richtete, saß Kleist schon lange auf Fort Joux, in bedrängter Lage, aber außerhalb jeder Lebensgefahr. Kleist erwähnt Gesuche an den Kriegsminister v. Angern und Schreiben an den Prinzen August von Preußen; wahrscheinlich sind die Briefe nicht in die Hände der Adressaten gelangt, der Prinz war selbst kriegsgefangen, und weder in seinen Akten noch in denen Angerns findet sich eine Spur dieser Gesuche Kleists. <96:>
Alles, was sich sonst auf die Gefangennahme der drei verabschiedeten Offiziere bezieht, findet sich in den Papieren des Kriegsministers v. Angern, durch dessen Hände alle Gesuche in dieser Angelegenheit gingen. Ich habe die Schriftstücke im Geh. Staatsarchiv eingesehen und bin in der Lage, sie im folgenden abschriftlich wiederzugeben. Wir ersehen aus ihnen, daß Angern alle Anstrengungen zur Befreiung der Gefangenen machte, und daß sein lebhaftes Interesse in dieser Angelegenheit hervorgerufen und unterhalten wurde durch nahe Beziehungen zur Familie Gauvain. Wir müssen annehmen, daß Kleist, unterrichtet über die intime Bekanntschaft Angerns mit der Familie Gauvain, diesem alles weitere überlassen und von eigenen Schritten in seiner Angelegenheit abgesehen hat. So kommt es, daß der Name Kleists in allen diesen Schriftstücken nur selten und nebenher erwähnt wird. Die Schriftstücke, die zum Teil nur im Konzept vorhanden sind, haben folgenden Wortlaut:

Concept!
Berlin le 30. Janvier 1807.
A Son Excell. Monsieur
le Gouverneur General Clarke.

Monsieur!
Un ci devant Lieutenant du regiment des Carabiniers, Monsieur de Gauvain, qui se trouve en arrêt, comme prisonnier de guerre pour être transporté en France me supplie de présenter la requête ci-jointe à Votre Excellence pour que je pourrois affirmer la verité de ce qu’il expose.
Comme je le connois depuis longtemps je peux lui donner non seulement le temoignage qu’il est très honnet homme mais je peux aussi assurer Votre Excellence:
1. qu’il était congédié du regiment des Carabiniers avant la guerre parcequ’il était invalide pour le service de la cavallerie et qu’il etoit dessiné pour être placé dans le civil.
2. que comme tous les officiers invalides qui souhaitent être placé il etoit obligé d’accepter au commencement de la guerre une Lieutenance du train des bagages de l’armée,
3. que depuis une année il a plusieurs fois solicité chez moi de le placer dans le civil de mon departement, 
<97:>
4. qu’il s’ait presenté chez moi pour me dire, qu’il avoit son congé du train et qu’il me prioit de vouloir bien lui procurer une place,
5. que sa mère demeure à Rathenow, que lui et sa famille possèdent une maison à Berlin dans la Linienstraße et que sa fortune est très mediocre.
6. que les dimissions des officiers subalternes ne sont chez nous souscrites de loi mais seulement expediées sous le sceau de la chancellerie de guerre.
Je souhaite que ce temoignage pourra être utile à ce pauvre homme dont la fortune sera absolument ruinée s’il est obligé de partir et en soumettant son affaire à la bienveillance de Votre Excellence je saisis cette occasion pour lui renouveller les assurances de la haute considération avec la quelle j’ai l’honneur d’être
Monsieur
de Votre Ecellence
le très humble et très obéissant Serviteur
Angern.

Rathenow le 4me Fevr. 1807.
Monsieur!
Vous savez Monsieur le sort tres innocent de mon fils Charl. Je connais et suis convaincu du vrai interet que Votre Excellence daigne prendre à sa situation, c’est ce qui m’engage à informer Votre Excellence de ma demarche, pour chercher à degager mon fils, en temoignant par un pass parellié (?) à la Coppie ci joint envoyé au comendent de Clark, pour qu’il en tire l’innocence de mon fils et ce porte à son relachement.
Pardonne Monsieur ma hardiesse lorceque je juge Vous mettre au fait pour Vous porter au moin à tirer l’information de ma prière et de daigner m’en donner Nouvelle. J’ai l’honneur de me dire avec toute la Consideration possible
Monsieur
Votre très humble Servente Veuve
de Gauvain.
Les deux Messieurs arrêtés avec mon fils et nommés Ehrenberg et de Kleist, der Dichter, sont aussi à plaindre et innocents. Si Vous pouvez trouver des interprettes pour eux, ce serait une bonne Oeuvre.

Berlin le 6me Fevr. 1807.
A Madame
Madame la Douairiere
de Gauvain à Rathenow.
Madame!
J’ai l’honneur de repondre à la lettre de 4me de ce mois dont Vous avez bien voulu m’honnorer Madame, que je n’ai rien omis pour obtenier la liberté 
<98:> de Monsieur Votre fils. La lettre que j’ai adressée pour cela au gouverneur General Clarke et dont je joins une copie à celle ci Vous le demontrera Madame, mais quoique le General au quel j’ai encore parlé de bouche depuis, plus amplement sur cette affaire veut bien croire tout ce qu’on lui a dit, il a pourtant jugé apropos d’envoyer Monsieur Votre fils et les autres Messieurs en France comme prisonniers de guerre.
Je ne erois pas que la demarche que Vous avez encore faite, pourra retracter cette mesure, mais du moins le General Clarke m’a promis de donner les ordres necessaires et de les envoyer par un Courier pour que ces Messieurs soient bien traités. Je suis bien au desespoir que je ne peux pas Vous procurer madame, la consolation de voir votre fils chez vous, mais il me faut Vous observer que ce n’est pas un si grand malheur d’être prisonnier de guerre en France en qualité d’officier, vu qu’ils y sont honnorablement payés, de façon de pouvoir vivre.
J’ai l’honneur d’être avec la plus haute considération
Madame
Votre très humble et très obéissant Serviteur
Angern.



Copia.
Der Lieutenant Carl von Gauvain hat 12 Jahre in dem von mir commandirten Königl. Preußischen Leibcarabinier Regiment gedient, wurde jedoch wegen immer wieder einkehrender Kränklichkeit, und besonders wegen häufiger Gichtschmerzen im Juni vorigen Jahres zum Invalide erklärt, und erhielt die Königliche Versicherung, im Civil angestellt zu werden. Bey Mobilmachung der Armee wurde derselbe im September v. J. vom Regiment förmlich entlassen, und bis zu seiner weiteren Versorgung intermistisch beim Train angestellt.
Daß dies alles der Wahrheit gemäß, und besonders die eigentlich militärische Laufbahn des von Gauvain als beendigt anzusehen sei, solches bezeuge ich hierdurch auf Pflicht und Gewissen.
Rathenau d. 4t. Februar 1807.
Königl. Preuß. Oberst und
Commandeur des Leibcarabinier
Regiments.v. Wenning.
Rgts-Sigel

Berlin le 3. Avril 1807.
A
Son Ecellence Monsieur Clarke
General de division, Conseiller d’état
et Gouverneur général.
Monsieur!
J’ose expérer de la bienveillance de Votre Excellence, qu’Ella voudra bien le pardonner d’être obligé de revenir encore sur l’affaire de Mr. de Gauvain, 
<99:>
dont je viens de recevoir du chateau de Joux la lettre ci-jointe, par la quelle il m’avertit, que lui et ses deux compagnons Mrs. de Ehrenberg et de Kleist se trouvent enfermés dans une prison, parce que le Commandant de la place manque absolument d’instruction à leur égard.
Tous les renseignement, que j’ai pris de ces Mrs. depuis leur départ, m’ont absolument prouvé leur innocence, car Mr. de Kleist est congédié depuis sept on huit ans et Mrs. de Gauvain et d’Ehrenberg sont aussi réellement congédiés, car c’étaient des officiers du train, dont on n’avait pas besoin en Prusse et dans les régiments, où ils auraient pu être utilis, ils n’ont pus voulu prendre service.
Je crois qu’ils ne seront jamais échangés, mais pour le coup ils se trouvent bien punis de leur conduite peu récommandable envers leur patrie et j’ose me flatter, que V. E. voudra bien par pitié donner les ordres nécessaires, pour que le Commandant de Joux les fasse traiter comme officiers prisonniers de guerre.
Veuillez agréer l’assurance de la plus haute considération avec la quelle j’ai l’honneur d’être
Monsieur
Votre Excellence
Angern


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