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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Sigismund Rahmer, Heinrich von Kleist als Mensch und Dichter. Nach neuen Quellenforschungen (Berlin: Reimer 1909), 371-376

Kleists Liebesleben


Der Schmerz und die Kränkung Kleists wurde noch dadurch gesteigert, daß die einstige Braut unmittelbar nach dem Zerwürfnis mit Kleist einem anderen die Hand reichte. Was sie dazu getrieben hat, einem offenbar sehr unbedeutenden und obendrein kranken Menschen die Hand zu reichen – verletzte Eitelkeit, Trotz, Verzweiflung, wer will das entscheiden? Jedenfalls handelte sie bei der Verlobung mit Al. v. Einsiedel gegen den Willen ihrer Umgebung. Ich lese in einem Briefe der Frau Körner an Theodor (22. Juli 1808): „Der Vater wird Dir geschrieben haben, daß Julie fort ist. Zu einer anderen Zeit würde mir Julies Entbehren schwer zu ertragen sein; aber jetzt vermisse ich sie nicht, weil es mich auch von der langweiligen Gesellschaft des Herrn von Einsiedel befreit … Schönberg … denkt sich Einsiedel als ein höchst interessantes Wesen, weil Julie ihn liebt – und denkt sich, ich sehe nur Prosa, wo doch lauter Poesie.“
Es ist von Interesse, die Vorgänge, die sich im Hause Körner abspielten (vergl. Peschel und Wildenow: Th. Körner und die Seinen, Leipzig 1898) näher zu verfolgen. Unmittelbar nach dem Zerwürfnis mit Kleist muß Juliane die Verlobung mit Einsiedel betrieben haben. Das Ehepaar Körner wider- <372:> setzte sich sehr entschieden. Deshalb verließ das Mädchen schon im Juli das Haus ihrer Pflegeeltern und ging zu ihrer Großmutter nach Weißenfels, die die Einwilligung zur Hochzeit gab. „Du siehst, schrieb die Mutter damals an Theodor, alles geht ihm wie Cäsar; er kam, sah und siegte.“ Während das Ehepaar Körner auch nach der Verlobung noch mit aller Entschiedenheit von dem unbedachten Schritt abrieten, scheint Dora Stock auf der Seite des Bräutigams gestanden zu haben. Aus Karlsbad schickte sie im Juli die Nachricht, daß sie dort von Personen aus Altenburg viel Gutes über Einsiedel gehört habe, so daß der Vater etwas beruhigt an Theodor schreibt: „es geht doch vielleicht noch besser, als wir denken.“ Aber schon einige Zeit später drückt er sich wieder pessimistisch aus und nennt Einsiedel zwar nicht bösartig, aber leer, nachlässig und kleinlich.
Überblicken wir alles, was über den Schritt Julianes dokumentarisch bewiesen ist, so geht daraus folgendes hervor: Trotz, Verzweiflung, Eitelkeit veranlaßten das Mädchen, welchem Kleist sein Herz geschenkt hatte, unmittelbar nach dem Zerwürfnis mit ihm, einem sehr unbedeutenden, kleinlichen und kranken Menschen die Hand zu reichen. Dabei scheint das Ehepaar Körner Partei ergriffen zu haben für Kleist gegen den neuen Bräutigam, während hingegen Dora Stock und vielleicht auch Th. Körner auf Einsiedels Seite standen. Das kam auch zum Ausdruck bei der Hochzeit Julianes, welche am 2. November in Leipzig gefeiert wurde, und an welcher Theodor und Dora Stock teilnahmen, während das Ehepaar Körner ostentatif fernblieb. Die Fama berichtet also anscheinend mit gutem Recht, daß Kleist Grund hatte, Dora Stock zu zürnen. Die Parteinahme für das junge Paar mag die Mißstimmung Theodors gegen Kleist hervorgerufen haben, die nach dessen Tode in dem Brief des jungen Körner zum Ausdruck kommt.
Das war die letzte Liebe Kleists, von der wir Kenntnis haben, und wie ich glaube annehmen zu dürfen, die Liebe <373:> Kleists. Für diese meine Ansicht sprechen die folgenden Tatsachen. Kein zweites weibliches Wesen hat Kleist dichterisch verherrlicht. Nicht als ob ich annehme, daß sein Verhältnis ihm den Stoff zum Käthchen geliefert hat, auch handelte Kleist sicherlich nicht tendenziös, aber in seiner Gestaltung hat er seiner Heldin Züge seiner Braut verliehen. Soweit wir es beurteilen können, hat Kleist niemals einen Bruch so schwer empfunden, als den mit Juliane Kunze. Brentano berichtet darüber nach dem Zeugnis Pfuels; und nur auf dieses Ereignis kann es sich beziehen, wenn Pfuel erzählt „er habe ihn (Kleist) einst acht Tage in Dresden wegen einer in der Liebe gekränkten Eitelkeit wahnsinnig und rasend in seiner Stube gehabt“. Eine tiefe Leidenschaft, und nicht gekränkte Eitelkeit verrät dieser Schmerz bei einem Manne, der dereinst das Verlöbnis mit Wilhelmine und wahrscheinlich auch mit anderen so unvermittelt und vielleicht brutal gelöst hatte. Und nur diese letzte Liebe Kleists kann Pfuel im Auge gehabt haben, als er beim Tode Kleists schrieb, daß Kleist das Herz längst gebrochen war, und daß weder seine Freunde noch die Gefährtin in der Todesstunde imstande gewesen wären, ihn über diesen schwersten Verlust hinwegzubringen. Man beachte, daß Pfuel nach Dresden nur noch ganz vorübergehend mit Kleist zusammen war, und daß dieser Hinweis auf ein tragisches Ereignis nur auf diese eine Liebesepisode bezogen werden kann. Den Verlust Julianes und die getäuschte Liebe hat Kleist niemals überwunden, das lehren uns Pfuels Worte, und das bezeugt weiter die Tatsache, daß der so leicht entflammte Kleist, den wir bis zu dieser Periode immer in den Fesseln der Liebe zu sehen gewohnt sind, von dieser Zeit ab keinem weiblichen Wesen mehr als freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte. Daß Kleist, wie Pfuel will, am gebrochenen Herzen gestorben ist, dieser Ansicht werden wir nicht beipflichten können; aber bei der Deutung von Kleists Tode werden wir an der Liebesepisode im Körnerschen Hause nicht vorbeigehen können. <374:>
Bis in die Dresdener Zeit können wir den Beginn der Freundschaft zu einer Frau verfolgen, mit der Kleist bis an sein Lebensende freundschaftliche und besonders kunstästhetische Interessen verbanden. Ich habe schon im „Kleist-Problem“ darauf hingewiesen, daß Kleist die Schauspielerin Henriette Hendel-Schütz nicht erst im letzten Lebensjahre, wie behauptet worden war, sondern schon während seines Dresdener Aufenthaltes, wahrscheinlich im Hause des Archäologen Böttiger, kennen gelernt hat. Später habe ich dann an anderer Stelle den Nachweis versucht, daß die meisten Briefe und Brieffragmente, deren Adressat bisher nicht bekannt war, und die ein besonderes Interesse für uns deshalb haben, weil sie wie keine anderen Briefe Kleists dichterische Bekenntnisse enthalten, eben an die Hendel gerichtet sind. Obgleich wir Tatsachenmaterial nicht besitzen, so läßt uns schon die Korrespondenz erkennen, daß die Hendel eine sehr große Hochschätzung Kleists genoß, und daß sie namentlich durch gemeinsame kunstästhetische Interessen in enger Freundschaft miteinander verbunden waren.
Während der Berliner Periode ist dann die Freundschaft der beiden erneuert und gepflegt worden. In den April des Jahres 1811 fällt ein Vorfall, den Peguilhen in dem Buche Gubitz’ „Berühmte Schriftsteller der Deutschen“ (Berlin 1854) berichtet. Zunächst, wer war dieser Peguilhen, der uns ja schon deswegen interessiert, weil er in ebenso ungeschickter als unberufener Weise für Kleist und seine Todesgefährtin eintrat. Ich habe oben (S. 148ff.) den umfangreichen Aufsatz Peguilhens nach einer Abschrift Varnhagens wiedergegeben, den er für die Öffentlichkeit bestimmt hatte, und ebenso eine nicht sehr schmeichelhafte Bemerkung über ihn von Varnhagen. Sonst wissen wir über diesen Mann wenig, der für sein ungeschicktes Vorgehen nach Kleists Tode schwer gestraft wurde, und der immerhin das Verdienst hat, die Sittenreinheit Kleists anerkennend, den Versuch gemacht zu haben, den so einzigartigen Fall Kleist-Vogel psychologisch, wenngleich mit schwachen <375:> Kräften angefaßt zu haben. Die einzige Erwähnung seiner Person finde ich bei Gubitz (Erlebnisse, Berlin 1868), wo es wörtlich heißt: „Es fand sich Gelegenheit, eine Reihe langer Briefe zu kaufen, die Werner in den Jahren 1796-1804, also bis zur Zeit seiner Berufung von Warschau nach Berlin, an seinen Freund, den Justizrat Peguilhen schrieb, an Denselben, der nach eigenwilliger Lebensverkürzung des Heinrich von Kleist durch Verteidigung des Selbstmordes schriftstellerische Kämpfe erregte.“ Während allenthalben bis zu Steig und Minde-Pouet von einem „Kriegsrat“ Peguilhen die Rede ist, wird er hier Justizrat genannt. Ich weiß nicht, ob mit Recht. Aber die Tatsache, daß er Jurist war, würde es leicht erklären, warum die Vogel und mit ihr Kleist gerade ihn zum Vollstrecker ihres Willens bestimmt haben. Wir erfahren weiter durch Gubitz, daß Peguilhen von Bialystok aus, wo er wohnte, eifrig mit seinem Freunde Zacharias Werner korrespondierte. Dadurch wieder erklärt sich die nahe Beziehung Peguilhens zur Hendel-Schütz
Werner war nämlich wie toll hinter der Hendel her\1\. In Stuttgart rissen ihn die herrlichen, wahrhaft künstlerischen pantomimischen Darstellungen der Schauspielerin Hendel mächtig hin und begeisterten ihn zu einem Sonett, welches mit den Versen schließt:

D’rum bet’ ich an in Dir das mächt’ge Leben,
Das, mit des Willens Klarheit schön verbunden,
In hoher Form sich kühn darf offenbaren.

Bald darauf trifft er die Hendel in Mannheim und feiert sie in einem wunderlichen Gedichte. Ihr inneres Sein gleicht an Reine dem Schwane; sie habe „des Künstlers ewige Bewahrung, den Kindersinn“ behalten, „die Unschuld, die im Kampf wir nur erlangen“. Er schickte außerdem an das „Morgenblatt“ einen begeisterten Bericht über ihre Kunstdarstellungen mit einem überspannten Gedichte „die neue Pythia“ und <376:> sehr interessante, warm empfehlende Briefe für die Hendel an Goethe.

\1\ Heinrich Duentzer: Zwei Bekehrte. Leipzig 1873.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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