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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 27-32

Die christlich-deutsche Tischgesellschaft: Stiftungslied und Tischreden


Diese Männer traten also am 18. Januar 1811 zum ersten Male zur christlich-deutschen Tischgesellschaft zusammen. Man sang zur Eröffnung das

Stiftungslied der deutschen Tisch-Gesellschaft
am
Krönungstage dem 18ten Januar 1811
vom Stifter L. A. v. Arnim.

Berlin, gedruckt bei August Wilhelm Petsch.

Unsre Krone ward erstritten
Durch der deutschen Ritter Blut,
Als die Heiden mußten bitten
Um des ew’gen Friedens Gut;
Seit die Heiden sind bekehret,
Kam die gnadenfrohe Zeit,
Und der Adel währt und lehret
Freiheit in Ergebenheit;
Freiheit christlich deutscher Treue
Uns mit deinem Segen weihe!
Ew’ger Glaube lebe hoch!
Chor.
Unser Glaube lebe hoch! <28:>

Als am ersten Krönungstage
Friedrich setzte auf die Stirn
Unsre Krone, daß er trage
Unsres Reiches Glanzgestirn
Einte uns mit höhrer Krone,
Zu dem großen Weltgeschick,
Gott der Herr auf seinem Throne
Mit der Hoffnung Segensblick,
Ließ dem Könige zum Zeichen
Seine heil’ge Salbung reichen,
Daß die Krone lebe hoch.
Chor.
Unsre Krone lebe hoch!

Unsres Volkes alte Rechte
Halten beide Kronen fest,
Schützt sie kommendem Geschlechtem
Schützt die Adler in dem Nest,
Bis sie auf den jungen Schwingen
Ueber uns in hohem Flug
Zu dem Glanz der Sonne dringen,
Im vereinten Heldenzug;
Schwört dem alten Herrscherhause,
Bei der Krönung Jubelschmause,
Ruft dem König Lebehoch!
Chor.
Unserm König Lebehoch!

Nimmer sollen Fremde herrschen
Ueber unsern deutschen Stamm,
Alten wilden Kriegesmärschen
Setzt die Treue einen Damm.
Unsres Volkes treue Herzen
Bindet eine Geisterhand,
Und wir fühlen Sie in Schmerzen,
Sie, die uns von Gott gesandt,
Daß sich Glaub’ und Liebe finde,
Und in Hoffnung sich verkünde,
Ewig lebt die Königin.
Chor.
Ewig lebt die Königin! <29:>

Steigt der Wein uns in die Krone
Bei der Krone frohem Fest,
Freudengeber, schone, schone,
Daß uns Demuth nicht verläßt;
Ernstes Leben muß uns weihen.
Was der Einzelne vermag,
Soll er dienend Allen leihen,
Viele Strahlen machen Tag.
Schwört, daß keiner will vor allen,
Jeder treu mit allen schallen,
Hier zu Preußens Lebehoch.
Chor.
Alle Preußen leben hoch!

Den Gesetzgebenden Ausschuß der Gesellschaft bildeten fortan Achim von Arnim, Adam Müller, Hauptmann von Röder I und Professor Savigny.\*\
Das Stiftungslied spricht die Gedanken aus, für welche die in der christlich-deutschen Tischgesellschaft vereinigten Patrioten einzutreten entschlossen waren: Christenthum, Königstreue, Schutz historisch gewordener Rechte, Befreiung des Vaterlandes von der fremden Herrschaft. Wie Arnim die Königin Luise einführt, ist ganz im Geiste der Schriften, die der Tod der Königin in den Reihen der Berliner Patrioten hervorgerufen hatte. Im ersten Schmerze empfand man nur, daß (wie Adam Müller es formulirte) mit ihrem Tode gewisse unsichtbare Bande zerrissen seien, in den öffentlichen Angelegenheiten Jeder gegen seinen Nachbarn anders gestellt erscheine als vorher. Eine unwiederbringliche Fülle von auferbauender Liebe sei mit ihr fortgegangen und habe dem öden Mechanismus neuer bloß sinnreicher Gesetze Platz gemacht. Aber schon erhebt <30:> die mystisch-religiöse Verehrung der Patrioten ihre „verklärte“ Königin zu einer höheren Macht, deren Auge die Geschicke Preußens triumphirend leiten werde. Seine Nachtfeier auf den Tod der Königin hatte Arnim ausklingen lassen in die Verkündigung einer Stimme vom Himmel:
Sie lebt, Sie wachet über Euch,
Wird Euer Schutzgeist sein.
Von diesen Berliner Patrioten ist die Luisen-Verehrung geschaffen worden, die sich unvertilgbar in das Herz des Preußischen Volkes eingenistet hat.
Die Versammlungen der christlich-deutschen Tischgesellschaft nahmen ihren Fortgang. Es ging darin äußerst lustig zu, so ernst die Ziele waren, die man zu fördern suchte. Heinrich von Kleist sagt in der Herrmannsschlacht, als beim Einrücken der Cohorten noch Herrmann sich mit seinem Thuschen neckt:
Warum soll sich von seiner Noth
Der Mensch auf muntre Art nicht unterhalten?
So dachten die hoffnungsfrohen Männer der Tischgesellschaft alle. In der zweiten Sitzung wurde beschlossen, Alles was sich zu guter Unterhaltung bei Tische eigne, aufzuschreiben. Clemens Brentano, mit seiner klaren Handschrift, sollte der Schreiber, Ludolph Beckedorff, mit seiner klaren Stimme, der Sprecher sein. In ein Foliobuch mit grünem Schnitt ist eingetragen worden:

Vorrede.
Verehrte Genossen der deutschen Tischgesellschaft!
In der zweiten Versammlung unsrer Gesellschaft ist der Vorschlag angenommen worden, daß jeder der einen unbekannteren Zug vaterländischer Treue und Tapferkeit oder überhaupt tüchtiger Gesinnung, oder einen guten ehrbaren Schwank wisse, solchen der Gesellschaft zu allgemeiner Ergötzung kürzlich mittheile, und es dem Herrn Sprecher anzeige, welcher, ist es ein Ernstes, mit der Messerklinge an das Glas <31:> schlagend, ist es ein Scherzhaftes, mit dem Messerstiele auf den Tisch schlagend die gehörige Aufmerksamkeit erbitte. – Sollten aber sechs Tischgenossen die Geschichte bereits kennen, so melden sie es nach ihrer Erzählung dem Herrn Sprecher und der Erzähler erlegt die Strafe von … in die Kasse.
Weiter ward beschlossen, ein großes Buch anzulegen, in welches immer die beste Geschichte eingetragen werde, zu eigner und der Nachwelt Ergötzlichkeit, und zur Führung dieses Buchs dem Herrn Sprecher einen Schreiber zuzuordnen. Durch die Annahme dieses Vorschlags nun ist vorliegendes Buch angeschafft und dem Unterzeichneten das Amt des Schreibers verliehen worden. Ich fordere daher alle Tischgenossen und Gäste zur Freude des Ganzen auf, was ihnen an guten Geschichten, oder Schwänken, bekannt geworden, dem allgemeinen Vergnügen nicht vorzuenthalten, es sei die Geschichte aus eigner Erfahrung oder Mittheilung der reichen Zeit zu ihm gekommen, es sei die Erinnerung an dieselbe durch den Augenblick in dem Erzähler angeregt, oder sie sei ihm zu Hause schon eingefallen, und er habe seinen guten Willen, die Gesellschaft durch ihre Erzählung zu erfreuen, sich durch einen Knoten in das Taschentuch, oder durch ein Papierchen in der Schnupftabaksdose sich angemerket.
Durch solche allgemeine Mittheilung wird eine Tischgesellschaft erst recht zu einer Tischgeselligkeit, und entgeht der Gefahr, nur eine Reihe neben einander essender Menschen vorzustellen. Welch reiche Fundgrube des ernsten und fröhlichen Lebens thut sich uns nicht in Luthers Tischreden auf? Sollten wir nicht aus dem Unsrigen auch einen Schatz der Erinnerung unsrer Geselligkeit zu sammeln versuchen? So lasset uns dann die Brosamen unsrer Tafel sammeln, sei es der ernsten Weisheit, sei es der liebenswürdigen Thorheit, und ich spreche die folgenden Worte einem altteutschen Schreiber, dem gekrönten Poeten Michael Lindener, nach:
Gute Geschichten und kurzweilige Schwänke geben einen guten Muth, der ist uns nit verboten, und allen wohl zu Nutz, denn ein guter Muth ist ein halber Leib, und macht ein grünendes Alter. Die Leut aber trinken ihren Wein vergebens, die bei guten Gesellen sitzen, als wären sie vor den Kopf geschlagen, oder als hätte ihnen der Türk abgesagt, und sie marteren sich selbst mit ihren übrigen Gedanken, gleich wie eine hölzerne Latern, welcher der Tod aus den Augen guket und luget, was die Deutschen sehen nennen. Da nun ein fröhlicher Muth gut und gesund ist, denn die Melankolia durch die Aerzte verboten wird, da sie ein schwer Geblüt und traurigen Geist und greulichs Gesicht macht, so sind zu solchem gute Geschichten und Schwänke dienlich, welche, wie <32:> Hypokrates schreibet, die Leber erfrischen und das Geblüt erquicken, und gleichsam erneuren, worauf ein Trünklein aus einem weißen Venedischen Glas, da ein Maaß rothen oder weißen Weins eingehet, wohl und natürlich schmecket. Ich wünsche, daß es wohl bekommen möge
Clemens Brentano.\*\

\*\ Das Stiftungslied ist in schönem Quartformat gedruckt; beim Wiederabdruck in Arnim’s Schriften ist ihm jedoch im Gedichtbande, den Varnhagen besorgte, jede Beziehung auf Anlaß, Zweck und Zeit genommen worden.
\*\ Ich bemerke: die Stelle ist Lindener nacherzählt, nicht wörtlich citirt aus dessen Katzipori.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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