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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 36-40

Christlich-deutsche Tischgesellschaft; Gründung der „Berliner Abendblätter“


Hiermit endigen die Eintragungen in das Buch der christlich-deutschen Tischgesellschaft, offenbar weil der Sommer und die Abwesenheit vieler Mitglieder die Versammlungen aussetzen ließ. Die eingetragenen Stücke stehen in bemerkenswerthem Zusammenhange mit Arnim’s und Brentano’s Schriftstellerei. Die ergreifende Erzählung Paul Friedeborn’s hat Arnim in der nächsten Zeit bereits zu einem vielgenannten Puppen- <37:> spiele verarbeitet, das 1813 in seiner Schaubühne erschien. Arnim verknüpfte hier die Begebenheit mit dem Ausblick auf den Freiheitskampf der Niederländer gegen die spanische Unterdrückung, womit er in romantischer Beziehung die bevorstehenden Freiheitskämpfe unseres Volkes gegen die französische Herrschaft meinte. In der Zerrüttung aller hergebrachten Verhältnisse findet der junge Appelmann keine Stelle in bürgerlicher Bethätigung. Der ideale Drang, an der Befreiung eines edlen Volkes Theil zu nehmen, reinigt das Gemüth des Jünglings von den Thorheiten eines ausgelassenen Lebens. Die streng beschränkte Weltanschauung des Vaters versteht die Begeisterung des eigenen Sohnes nicht mehr, zumal da – ein feiner, gewiß aus Arnim’s eignem Leben geschöpfter Zug – die ausgleichende Liebe der früh verstorbenen Mutter fehlt. Der Sohn wird auf Befehl des Vaters mit dem Schwerte gerichtet, aber die neue Idee muß siegen. In seltsamer, von Arnim innerhalb der Darstellungsmittel eines Puppenspieles nicht für unmöglich gehaltener Heilung kehrt der Jüngling ins Leben zurück, Vivigenius ist sein Name, und sein Freiheitstraum wird nun zu beglückender Wahrheit für ihn. Die Arnim verübelte „Kopfanleimung“, ein der Sagenpoesie übrigens entnommenes Moment, wird in Arnim’s Sinne nur erklärlich, wenn man die vaterländische Tendenz des Puppenspieles ins Auge faßt. Arnim wünschte, wie er es ausdrückte, manchen scheinbaren Widerspruch in dem Gemüthe der Menschen zu wohlthuender, befriedigender Einheit zu bringen.
Die wunderbare Geschichte des seinen Knechten bis über den Tod hinaus getreuen Dietz von Schauenburg, oder Schwinburg, die man auch in Grimm’s Deutschen Sagen findet, hatte längst schon auf Arnim tiefen Eindruck gemacht. Er wollte den Stoff sogar in Volksliedgestalt, die er schüfe, in das Wunderhorn einführen. In seinen Briefen an Clemens <38:> Brentano ist oft davon die Rede; und schon dort (S. 235) bringt er Dietz mit dem zur Guillotine Verurtheilten in Verbindung. Ein solches Beispiel deutscher Treue des Herrn gegen seine Knechte – das war die Meinung der Patrioten – würde nicht mehr möglich sein, wenn durch die neuen Gesetze das uralte Treueverhältniß zwischen Herrschaft und Gesinde aufgehoben würde. So leiten wieder die Fäden aus der Heidelberger in die Berliner Romantik hinüber.
Ein weiteres Zeugniß für das Fortbestehen der Tischgesellschaft ist ein Circular Arnim’s aus dem Frühling 1811. Liebe, Frühling und patriotische Hoffnung athmet uns entgegen:

Fort ins Freie, in die Luft,
Da der Frühling uns erschienen
Und mit tausend Stimmen ruft
Zu den grünen Lebensbühnen;
Seht das neue Haus geschmücket
Mit dem hellen Himmelblau,
Seht das Volk so hochentzücket
Ueber den erhabnen Bau.

Alles glänzt in neuer Zeit,
Alles schwebet im Verlangen,
Welches Schauspiel giebt man heut,
Da der Vorhang aufgegangen?
Soll ein Heldenspiel beginnen,
Rüstet sich die frische Kraft?
Soll sich Lieb in Lieb gewinnen,
Daß sich neues Volk erschafft?

Herz an Herz und Baum an Baum,
Alles drängt sich nah zusammen,
Flammend einer Liebe Traum,
All aus einer Erde stammen,
Und des frischen Laubes Kränze
Decken all mit gleichem Grün,
Jenen, daß er siegend glänze,
Diese, daß sie drunter blühn. <39:>

Ferne Landsleut, die im Streit
Für die gute Sache fechten,
Scheinen uns nicht mehr zu weit,
Daß wir ihnen Kränze flechten;
Was sie thun und was sie leiden,
Ist für uns auch mitgethan,
In des Frühlings Siegesfreuden
Stoßt zu ihrer Ehre an!\*\

Die geehrten Mitglieder werden gebeten, über die Verlegung der Gesellschaft nach dem Thiergarten während der Sommerzeit ihre Meinung zu unterzeichnen.
Demgemäß stimmten durch eigenhändige Namensunterschrift für die Verlegung: Reck, Reimer, Otto, v. Horn, Staegemann, Bury, v. Bärensprung, v. Gerlach, Graf Chasot, v. Arnim I, Dohna, Beckedorff, Grell, Lichtenstein, H. Meyer, Tiedemann, Schulz, Siebmann, Kleist, v. Bardeleben, Weiß, v. Pfuel, v. Hedemann, Achim v. Arnim; gegen die Verlegung: Radzivill, v. Hermensdorff, Lichnowsky, Clausewitz, Wolfart, Alberti, Reichardt, Eichhorn, Graf Nesselrode, Wollank, Graf Larisch, Brentano, Müller.
Daß Arnim die Seele der Gesellschaft war, wie die Acten bezeugen, bestätigt August Boeckh in seinem Briefe an den Buchhändler Zimmer in Heidelberg, 1. Mai 1811 (Zimmer S. 303): „Brentano und Arnim gefallen sich ganz ausnehmend. Arnim ist der Stifter einer großen Eßgesellschaft, welche sich die Christlich-Deutsche nennt, und keine Juden, keine Franzosen und keine Philister duldet. Ich habe neulich auch darin gegessen, und es geht recht Arnimisch darin zu.“ Crabb Robinson erfuhr damals und notirte in sein Diary (8. October 1811): „Arnim and Clemens Brentano are at Berlin and the <40:> head of the Deutsche Gesellschaft.“ Als Arnim von seiner Reise mit Bettinen nach Frankfurt im Februar 1812 in Berlin eintraf, war er wieder ein paarmal sehr vergnügt in der Tischgesellschaft, wo aber (wie er an Brentano schrieb) außer dem Seinigen gar nichts zur allgemeinen Unterhaltung beigetragen wurde. Der Stiftungstag, dem Arnim nicht beiwohnte, sei feierlich begangen worden: „Stägemann hat tapfere Verse mit einer geringen Legirung alter Mythologie verfertigt.“ Es war das Gedicht „Zur Secularfeier des 24. Januars (dem hundertjährigen Geburtstage Friedrich’s des Großen)“, das wir in Stägemann’s Kriegs-Gesängen finden, und das daselbst die Notiz trägt, es sei in der Deutschen Tischgesellschaft gelesen worden: ebenso wie ein andres Gedicht Stägemann’s, das „bei dem feierlichen Leichenbegängniß des Prinzen Ludwig Ferdinand von Preußen“, im März 1811 in derselben Tischgesellschaft mitgetheilt worden ist.
Von Arnim ging am 11. Februar 1813 der Vorschlag aus, dem alle Mitglieder zustimmten, den Baarbestand der Kasse, 180 Thaler, zur Ausrüstung eines freiwilligen Reiters zu verwenden, und die an 250 Thalern fehlende Summe – denn so viel kostete die Equipirung eines Reiters – wurde durch eine gemeinsame Umlage unter den Mitgliedern aufgebracht. So ging die christlich-deutsche Tischgesellschaft in die große Bewegung der Freiheitskriege auf, die sie mit ganzer Seele herbeigesehnt hatte.

\*\ Am Rande entlang sind die Worte geschrieben: „Dieser Erinnerung gemäß allen Deutschen, die für die gute Sache unter allen Himmelsstrichen streiten, ein Lebehoch!“ Gemeint ist natürlich: die in Spanien kämpfen.

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Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
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