BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ PHÖBUS(3) ]

[ ]

 

Adam Müller, I. Vorlesungen über das Schöne (Fortsetzung), 3-31; darin: 3-13

I. Vorlesungen über das Schöne.
(Fortsetzung.)

II.

Die Wesen, in deren Umfange dasjenige vorgeht, wodurch wir in unsrer neulichen Unterhaltung die Schönheit erklärten, nennen wir Lebendige oder Organische, mit andern Worten, die Kennzeichen des Lebens und die Kennzeichen der Schönheit, sind dieselbigen. Kann ich Ihnen diese etwas auffallende Behauptung erweisen und wird wirklich Leben und Schönheit an denselbigen natürlichen Merkmalen erkannt, so werden Sie mir dann auch leicht die andre Behauptung zugeben: alles was lebt, ist, in wiefern es lebt, auch schön. Ich bitte Sie nur vorläufig zu bemerken, daß selbst durch den vollständigsten Triumph dieses meines Satzes, das Häßliche noch nicht vollständig überwunden wäre: es könnte nemlich ja darauf hinauskommen, daß der Gedanke des Todes die Urquelle alles Häßlichen wäre, und wie das Widerwärtige in der Vorstellung des Todes nicht in dem Begriffe, Sterben, sondern in dem andern und vom Sterben sehr verschiedenen Begriffe des Todtseins, eines Seins, das noch zugleich auch wieder nicht sein ist, wie in diesem verfluchten, heillosen Widerspruche, wie in der impertinenten Zumuthung an unsern Verstand, daß wir diesen Widerspruch begreifen sollen, der Grund der empfindlichsten Qualen unsers Lebens liegt, so könnte bei allen Erscheinungen, die wir häßlich fänden, folgendes die Veranlassung unsrer umangenehmen Empfindung sein: es habe sich nemlich uns ein Wesen gezeigt, dem wir zwar die Eigenschaft des Lebens zugestehen müßten, dessen Leben wir aber nicht verständen und begriffen, dessen Leben wir zwar empfänden aber nicht erkannten, kurz ein Leben, das aus unserm Standpuncte angesehn, zugleich auch wieder todt wäre. In diesem Widerspruche, daß etwas für uns zu gleicher Zeit lebte und doch auch wieder todt wäre, hätte dann sowohl der Abscheu vor dem Todtsein, als vor dem Häßlichen seinen Grund; das Todtsein und das Häßliche würden demnach an einerlei Merkmalen erkannt: die Liebe zu dem Lebendigen oder Schönen, und der Abscheu vor dem Todten oder Häßlichen flößen aus derselbigen Stelle in unsrer Brust her.
Wir sprachen neulich in dunkeln aber deutungsvollen Tönen von einer fühlbaren Harmonie, die unsre äußerlichen Handlungen, leider nur zuweilen, innerlich begleite; von einem hörbaren Rhythmus, der neben und in den gewaltigen Bewegungen <4:> der Poesie vernommen werde: ich hätte noch manchem Kunstfreunde in dieser Versammlung sehr verständlich von einem sichtbaren Totalaccord der Farben, neben und in den einzelnen Farben eines Gemäldes, sprechen, und so fort meinen Satz durch alle einzelnen Künste hindurchführen können. So kamen wir auf die Ahndung, daß die Seele bei allen einzelnen Gedanken, Gefühlen und Bildern, die sie wahrnähme, begleitet zu werden liebte, von einem Gedanken, Gefühle und Bilde des Ganzen, von einem Gesetz, einem Grundtone, einem Weltbilde. Es ist, als vermeidete die Seele nichts so sehr als den Gedanken des Alleinseins, und als wolle sie, wenn ihr die Bilder dieser Welt noch so einzeln und körperlich zugezählt werden, immer noch außerdem von der Allgegenwart eines die Einzelnen umfassenden Ganzen, eines die Körper beherrschenden Geistes überzeugt sein. Unsre Väter mochten es nicht, wenn ein fremder Mensch wie vom Himmel in ihre Häuser fiel; sie waren nicht eher beruhigt, als bis sie erfahren hatten, woher, wes Standes und welcherlei Eltern Erzeugter, und ließ sich dann nur irgend ein schwacher Faden, irgend eine leise Beziehung anspinnen, war irgend eine Person oder auch der Familienname nur einmal im Leben flüchtig an ihnen vorübergegangen, so war der Gast nun freundlich empfangen. Eben so die Seele: sie will neben jedem Fremdling, der bei ihr einkehren will, auch seine Familie, seine Herkunft, das Ganze, dahin er als Theil gehört, vernehmen und empfinden: Gefühle der Einsamkeit und des Todes ergreifen sie, wenn diese Anklänge des Ganzen und des Universum verstummen. – So hieß von jeher ein schönes Menschenleben dasjenige, was im Gefühl und in steter Erinnerung der ganzen Menschheit geführt wurde; und das war in allen Zeiten der beste Bürger des Staates, der am treusten um des Gemeinwesens willen zu leben, und sich ihm hinzugeben wußte. An allen diesen Gegenständen hat aus denselbigen Gründen die beschauende Seele ihre innigste Freude.
Nun fragen Sie bei der Naturwissenschaft an: welches das Kennzeichen des Lebens sei, so werden Sie hören, daß dasjenige lebendig zu nennen sei, was neben vielen einzelnen, veränderlichen Offenbarungen, zugleich ein bleibendes, eigenthümliches Gesetz wahrnehmen lasse. Auch sie wird ihnen antworten, daß allenthalben, wo Harmonie zwischen zweien, zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Bleibendem und Vorübergehendem, zwischen Gesetz und Erscheinung erkannt werde, daß da Leben sei und erzeugt werde. Wir, mit menschlichen, häuslichen, geselligen Bildern erfüllt, nennen es Schönheit: die Naturwissenschaft, in einem andern größeren Tempel erzogen, nennt es Leben. Wir nennen die Harmonie der Welt weicher und fröhlicher nach dem Lieblingsverlangen unsers Herzens: die Naturwissenschaft nennt sie strenger und ernster, nach dem Gebot des Gottes oder unsres Geistes. Wie nun die Schönheitslehrer des vorigen Jahrhunderts von einer großen Masse von Gegenständen behaupteten, daß sie durchaus, absolut und in jeder Rücksicht häßlich wären, so erkannten die Naturforscher eine unzählige Menge von Naturgegenständen für schlechthin todt an. Die majestätische Bewegung des Meeres war für sie nichts als ein Spiel <5:> s. g. todter Kräfte, der tiefsinnige Bau der Gebirge, ein Haufen todter Masse und die große Trägerinn alles übrigen Lebens, die Erde, ein todtes Stück eines durch Gott weiß welchen Stoß erschütterten Chaos. Unorganisch im Gegensatz des Thier- und Pflanzenlebens hießen alle diese Gegenstände, weil der einzelne Sterbliche von der Hufe des festen Landes, die er gerade bewohnte und abweidete, die einzelnen Offenbarungen der Erde, im Feuer, im Sturm, im Blitz, im Erdbeben wohl vernahm, aber (wie der Leser eines Gedichts, der jede einzelne Stelle desselben in ihrem Wortsinne hinnimmt, und nie den Gedanken, das Gesetz und den Rhythmus des Ganzen fühlt) so ebenfalls der Naturforscher nie die innerliche und gänzliche Natur des Planeten neben und in den äußeren Buchstaben seiner Offenbarungen im Feuer, Sturm, Blitz, Erdbeben u. s. f. zu vernehmen wußte. Die einzelnen Naturerscheinungen wurden einsam für sich hingenommen, da aber der Totalaccord, die Begleitung des Weltorchesters fehlte; so kam bei der ganzen Naturforschung nichts heraus, als die Erkenntniß eines durchaus sinnlosen Kampfes todter Kräfte und das Geheimniß des Lebens blieb verborgen. Eine neue Generation erwachte, und auf die engherzige Frage der Welt, wo das Leben sei, antwortete sie, wie wir, unsre Betrachtungen vorbereitend, auf die ängstliche Frage, wo die Schönheit gefunden werde, antworten mußten: Überall oder Nirgends. Eine Entdeckung, wie diese, falls wir die Wiederherstellung ewiger Wahrheiten nach den kleinen, vergänglichen Wiederherstellern, Entdeckung nennen dürfen, mußte alle ihre Bekenner entzücken: daher der Ton würdiger Begeisterung, mit dem sie der Welt verkündigt wurde. Schönheit und Leben hatten sich als ein und dasselbige gezeigt, daher die Nähe der Poesie in allen Verkündigungen der neueren Naturphilosophie. Die Naturphilosophie sieht neben und in den einzelnen Lebendigen und Lebenserscheinungen allezeit eine Totalität des Lebens; in ihrer Sprache, sie sieht neben und in den Handlungen, Spielen und Äußerungen der einzelnen Organe, immer ein Ganzes, einen Organismus. Bei den früheren Naturforschern wurden Feuer, Licht, Magnet, Wärme, Luft u. s. f. einzeln für sich, jedes als Äußerung irgend eines abgesonderten Organes betrachtet: daher der Tod, und ich darf hinzufügen die Häßlichkeit dieser Erscheinungen: die neue Lehre untersucht die Natur in Wechselblicken, die unaufhörlich bald den Theil, bald das Ganze; bald das Organ, bald den Organismus treffen, und wie wir das Geheimniß der Liebe oder der Schönheit zu erkennen, in unsrer neulichen Unterhaltung abrathen mußten, daß man ausschließend den geliebten und schönen Gegenstand betrachte, eben so, daß man ausschließend idealistisch den betrachte, der die Schönheit des Gegenstandes empfände, wie wir auf beide und auf die Harmonie zwischen beiden, als dem Sitze der Schönheit, hinzeigen mußten, auf diese und keine andre Weise will jene das Geheimniß des Lebens erfinden, oder vielmehr desselben in unendlichem Umgange theilhaftig werden.
Wohlan also! lassen Sie uns den Gang durch einzelne Künste beginnen: die innere und unendliche Schönheit des Menschen, der Widerstrahl jener unendlichen <6:> Schönheit der Welt, soll sich offenbaren in und neben jeder einzelnen Handlung des Menschen. Sehen wir den ganzen Menschen in Harmonie mit seiner einzelnen Handlung, so nennen wir ihn Künstler: die Künstler sondern wir nach den bestimmten Stoffen, welche sie behandeln, nach den Organen, durch welche sie sich ausdrücken und nach den entgegengesetzten Organen, auf welche sie einwirken, in Wortkünstler, Tonkünstler, bildende Künstler, Staatskünstler, Erziehungskünstler: möchten unsre Vorlesungen und das darin gelegte Streben Sie ahnden lassen, daß es dereinst auch Wissenschaftskünstler geben wird. Wenn ich eine Rangordnung, eine Subordination unter allen diesen Künsten feststellen wollte, so würde ich mein eignes Werk zerstören; denn alle, in wiefern sie nur, gleichviel in welchem Stoffe, das Geheimniß der Schönheit empfinden und erkennen lassen, sind eines großen Reiches vollbürtige, gleich stimmfähige Bürger. Lassen Sie uns indeß unter allen andern von dem Organ handeln, wodurch sowohl das Gefühl als der Verstand des Menschen sich vornehmlich mittheilt, von dem Organ der Sprache und der Musik. Ich rede von der Sprache, welche gesprochen wird: das Handwerk des Chiffrirens dieser Sprache auf dem Papier, und des Dechiffrirens, welches wir gemeinhin Lesen nennen, gehört noch nicht hierher. Auch entfernte, durch weite Räume getrennte Menschen haben einander etwas zu sagen, und jede Generation denkt und empfindet tausend Dinge, welche erst in spätnachfolgenden Generationen ein geneigtes Ohr finden, aber deshalb um nicht weniger mittheilungswürdig sind: und so giebt es eine herrliche Kunst, die Schreibkunst, welche ich indeß jetzt bei Seite gestellt lasse, weil sie erst gehörig unterschieden werden muß von dem gegenwärtig üblichen Schreibhandwerk, bevor sie in diesen Vorlesungen auftreten kann. Was heißt schön sprechen? – Im gemeinen Leben meinen wir darunter immer die Schönheit der Rede, welche ich, nach der in meiner letzten Vorlesung angegebenen Unterscheidung, gesellige Schönheit, im Gegensatz der individuellen Schönheit des Sprechens, des s. g. Redens, wie einem der Schnabel gewachsen ist, nennen möchte. Jeder Mensch fühlt den Unterschied zwischen edler Sprache und gemeiner Sprache: nur die meisten Menschen stellen sich die Sache so vor, als wenn das Edle oder Gemeine in den einzelnen Worten, Redensarten und Wendungen läge. So ist der Wahn von der Unbrauchbarkeit einer ungeheuern Anzahl von Wörtern und Redensarten zur schönen Rede entstanden. Man dachte sich den Redner vor einem ungeheuren Topfe, worin alle möglichen Worte und Sprachwendungen wie Treffer und Nieten zusammengeschüttet würden, und meinte nun, die Redekunst bestände darin, mit einer gewissen Addresse der Hand zu gelegener Zeit die Treffer zu finden und auszufischen. Man meinte, das ganze Reden bestände in einer Auswahl der Wörter, daher das Sprüchwort: der Mann spricht in gewählten Ausdrücken. Eben so dachte man sich den Dichter vor einem ungeheuren Kasten mit Bildern, edlen und unedlen, anziehenden und ekelhaften, und auch sein Kunststück bestände darin, unter diesen Bildern eine kluge und decente Auswahl zu treffen. Schlagen Sie die Berliner Bibliothek und das erste beste Compendium der Poetik aus dem 18ten Jahrhunderte nach, so werden Sie finden, daß ich nicht übertreibe und daß das Capitel von der <7:> Bilderwahl Hauptstück der ganzen damaligen Poetik ist. Einige Aesthetiker traten auf, fühlten den Übelstand, und da sie der Sache doch nicht gänzlich abhelfen konnten, meinten sie, der Zuhörer müßte es wenigstens nicht merken, daß gewählt worden sei unter den Bildern und Wörtern; nach aller Anstrengung müsse es endlich dennoch ganz natürlich herauskommen: das finden und wählen müsse man sich zwar gefallen lassen, das solle aber hinter den Coulissen geschehn, von dem Suchen wolle der Hörer durchaus nichts wissen. Daher entwickelte sich ein allgemeiner, ehrlicher und wohlgemeinter Widerwille gegen die gesuchten Wörter, Bilder und Redensarten; aber auch dieser lohnte weiter nicht: nach diesem Verfahren bildeten sich weder Redner und Dichter. – In Frankreich zuerst ward diese Industrie im großen getrieben, nachher gründlicher aber noch unglücklicher in Deutschland. Eine Gesellschaft von Dichtern und Rednern, die wohl oft die große Noth und die allgemein sogar in Sprüchwörtern verwünschte Qual des Wählens und Suchens empfunden haben mochten, kam auf folgenden so colossalen als sinnreichen Gedanken: Wie wäre es, meinten sie, wenn wir den ganzen Topf einmal ausschütteten, und ein für allemal zu unsrer und der Nachwelt Frommen den Haufen sichteten. Auf dem großen Nationalboden, sagten sie, sind bis jetzt, wie auf einem schlechtbearbeiteten Acker Erbsen, Wicken und Spreu wild durcheinander, so hier edle, unedle und Provinzialwörter gewachsen. Laßt uns ein für allemal die Erbsen herauslesen und die Spreu wegwerfen. In dem großen Sprach- und Bildergefäß sollen nichts als Treffer bleiben: so entstand das Dictionnaire de l’Academie. Aber der Geist der Welt und der Zeiten war mächtiger, und das Leben und die Kunst nicht so leicht, als jene dachten: in jede neue Saat führten die Winde Gottes die s. g. Spreu wieder zurück, und wir haben eine fast allgemeine Sprachumwälzung in jenem Lande erlebt, das sich so schwer in die hohe Gerechtigkeit des Sprachgeists gegen jedes seiner Kinder, gegen das s. g. gemeinste und gegen das edelste fügen wollte.
Welches war der Irrthum? Jene Leute hatten sich die Frage: wo die Schönheit der Rede sei, unrichtig beantwortet. Sie richteten ihr Auge einseitig auf das schöne Object, auf den geliebten Gegenstand und faßten nicht zugleich mit den von mir schon öfter gepriesenen Wechselblicken, den eben so wesentlichen Liebhaber, das Subject ins Auge: Auch hier liegt die Schönheit vornehmlich in der Harmonie des Sprechers oder Dichters mit seinem geliebten Instrument, oder Stoffe, der Sprache. Wie begleitet der ganze Mensch musikalisch seine Worte? das mußte die Frage sein, und daß ich damit nicht blos die hörbare Musik der Töne, sondern die fühlbare seines ganzen Wesens, den Geist, das Gesetz seiner Eigenthümlichkeit meine, versteht sich von selbst. Der Redner soll nicht blos ein von der ganzen Sprache mechanisch abstrahirter Redeschatz sein, sondern er soll ganz eigenthümlich, wie es seine Person, seine Zeit und der Augenblick fordern, sprechen. Ist dann nur seine Person eine gesellig schöne, so wird auch seine Rede in und neben jener Eigenthümlichkeit sich als allgemein gültig und gesellig bewähren. <8:>
Damit sie aber sehn, daß ich in meiner Darstellung jener Wort- und Bilderwähler nicht blos einen einzelnen Irrthum, sondern eine durch die ganze Zeit verbreitete Unart vor Augen hatte, so lassen Sie mich in folgenden erläuternden Beispielen meinen Gedanken verfolgen. Wer gedenkt nicht des Verfahrens unsrer Schulmeister mit der gelehrten Sprache insonderheit, der Lateinischen? Welches kräftige Gemüth hat sich nicht gesträubt, als in seiner Jugend eine kümmerliche Blumenlese Ciceronischer Wendungen ihm als einzig schöne Latinität aufgedrungen wurde; als ihm eine Cultur der römischen Sprache aufgedrungen wurde, die darin bestand, die für sich schon steifen und gezierten Gelenke des Cicero, dieses eben nicht sehr Römischen Römers, in Holz nachzuschnitzeln, und nun diese spanischen Stiefeln hinzunehmen, für die Schule jener freien, erhabenen, großartig gegliederten Weltsprache, in der die verschiedenartigsten Naturen der Welt, das alte weltliche und das neue geistliche Rom sich zu unterreden vermochten. Unseliger Irrthum, daß ihr meint die Schönheit zu verstehn, wenn ihr nach irgend einem angeeigneten, d. h. nicht ursprünglichen Princip, schöne Gegenstände zu versammlen oder auszuwählen wißt! daß ihr meint, die Schönheit ließe sich lernen, dadurch daß man sich nur fest, ja hartnäckig hielte an dem, was die Welt in irgend einem leicht verfliegenden Moment schön nennt?
Lassen Sie uns rasche die Werkstätten dieser Pedanten verlassen, und um unsre Sünde gegen die Damen wieder gut zu machen, einen Augenblick an einem Orte verweilen, wo sie sich besser gefallen, in der Gesellschaft! Daß ich mit der Beweglichkeit, welche die Seele aller Wissenschaft ist, in dem jetzt auftretenden Beispiele wieder Menschen statt Worte setze, darf sie nicht befremden. Im Leben selbst gleiten im raschen Wechsel Menschen, Worte, Bilder an uns vorüber, und soll es ein schönes Leben sein, so müssen alle diese Übergänge musikalisch sein; wie möchten wir uns der Empfindung von der ewigen Schönheit der Welt, auf die es vornehmlich ankommt, nähern, wenn wir noch durch die Contraste gestört werden möchten. Jenem Verweilen, Haften und Klebenbleiben an bestimmten schönen Gegenständen entweicht der Geist der Schönheit. Also geschwind zur Verwandlung geschritten: dieselbe Schönheit erwartet uns auch wieder in der neuen Form; derselbe Mißbrauch der Schönheit findet auch hier wieder statt. Eine gute Gesellschaft ist ein Gedicht in Menschen, statt in Worten, so wie ein gutes Gedicht eine Gesellschaft in Worten statt der Menschen sein muß. Auch unter den Menschen giebt es anscheinend Treffen und Nieten, Erbsen und Spreu. Derselbe Mißbrauch, der in dem Dictionnaire de l’Academie mit den Wörtern getrieben wurde, muß also auch irgendwo, und wahrscheinlich zuerst in Frankreich mit den Menschen in Rücksicht auf die Gesellschaft getrieben worden sein. So ist es! Es wird eine allgemeine Auswahl getroffen: nach der am Hofe Ludwig des vierzehnten geltenden und übrigens keineswegs absolut zu verdammenden Ansicht von der gesellschaftlichen Schönheit, oder dem guten Ton werden die Menschen gesichtet, die s. g. vornehme Gesellschaft, societé par excellence herausgeschieden, und die Spreu d. h. alle besonders kernichte Naturen, die zu- <9:> mal die Majorität ausmachten, unter der Kategorie von Provinzialleuten, Kleinstädtern, grenadiers und Dorfteufeln aller Art ausgeschlossen. Solche steife Absonderungen der Gesellschaft halten einmal ein Jahrhundert aus, endlich werden die Barrieren zerbrochen, und die individuelle Schönheit außerhalb fängt wieder an, sich mit der geselligen Schönheit innerhalb der Barrieren zu vermischen, nur daß es etwas unsanfter und barbarischer dabei hergeht, als wenn die gute Gesellschaft immerfort und allmählig, und ohne sich eben gemein zu machen, milde eingewirkt hätte auf die schlechte, den Triumph ihrer Güte gerade darin gesetzt hätte, die ganze Nation nach und nach zur guten Gesellschaft zu erheben. Wie es gewöhnlich zu ergehen pflegt, so gab damals, als die Schranken gebrochen wurden, die gemeine Gesellschaft vor, sie kämpfe gegen die Idee der geselligen Schönheit, gegen die erhabene Idee des Adels, während sie es nur mit der Carricatur, mit dem Mißbrauch derselbigen, mit der fixirten vornehmen Gesellschaft zu thun hatte: gleicherweise meinte die vornehme Gesellschaft, sie habe es mit der Idee der individuellen Schönheit, nemlich dem Bürgerstand, dem tiersétat zu thun, während auch sie nur die Carricatur derselbigen, die fixirte gemeine Gesellschaft, die dem Bürgerstande unähnlicher sahe als eine Windmühle einem Riesen, gegenüber hatte, und dergestalt auf beiden Seiten, wie wir sagen, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wurde. – Wie würde ich mißverstanden werden, wenn man meinte, ich, der über die Schönheit vor Ihnen zu reden wage, sei unempfindlich für den Reiz der schönen gesellschaftlichen Formen, welche das alte Frankreich der Welt gelehrt hatte. Gerade weil ich finde, daß die Wörtergesellschaft im Dictionnaire de l’Academie wirklich eine gute Gesellschaft war, finde ich es doppelt tyrannisch und häßlich, sie zu fixiren, einzusperren und dem erfrischenden Einfluß der Zeiten, wie der weiterschreitenden Welt zu entziehn. Auch die schöne Form in der Gesellschaft klebt ja nicht, wie ein unverwüstliches Kleid an einzelnen Personen und den ausschließend in ihrer Schule gebildeten: der gute Ton liegt ja in der Harmonie, mit der sich eine solche Person in ihrer Sphäre bewegt, und diese Harmonie zwischen der Person und ihrer Sphäre muß ja allenthalben möglich sein; wie kann man also glauben, daß man die Schönheit festhält dadurch, daß man gewisse Personen, Sphären und Manieren als einzige Repräsentationen der Schönheit fixirt. Jede schöne Bewegung stellt sich im Laufe der Zeiten endlich im Raume, als wirklich ergreifbare, fühlbare Gestalt dar: so der innre Rhythmus, der in der Ilias und Odyssee vernommen wird, tritt fortgesungen und fortgelebt endlich als Jupiter des Phidias, und als Laokoon an den Tag dergestalt, daß ihn der begehrungsvollste Sinn mit Befriedigung umfassen kann. So auf einer kleineren Bühne die chevalereske Galanterie des Mittelalters in den grazieusen Repräsentanten des guten Tons am Hofe Ludwig XIV. – Aber ehe die herrlichste Kunstgestalt des Lebens oder der Poesie festgehalten, und die gute Gesellschaft allmählig, je mehr der Geist entweicht, zu kalter Manier oder Nachahmung verdammt, ehe die schlechte Gesellschaft unter dem Drucke der Sittentyrannei planmäßig barbarisirt werden soll, lieber möge doch das ganze Kunstzeitalter in unvermeidlichen Revolutionen zu Grunde gehn. Aber damit hat es keine Noth. Das <10:> innerlich schöne in den Formen des siècle de Louis XIV. wird so wenig verlohren werden, als die Antike, die einst ja auch schon untergegangen, und vom Sturme der Zeiten gestürzt, ja von der unwilligen Erde geraubt und verdeckt zu sein schien.
Auch uns Deutschen, damit ich sanft zu dem besondern Gegenstand dieser Vorlesungen zurückkehre, ist es einst eingefallen, nicht in der Gesellschaft, was sich wohl von selbst versteht, sondern in der Sprache die Vornehmen zu spielen. Über ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Entwurfe des Dictionnaire de l’Academie theilte sich das Princip derselben auch der deutschen gelehrten Welt mit. Auch hier sollte im Mittelpuncte einer tausendstämmigen Nation und einer in unzählige Dialecte gebrochenen Sprache, ein Bezirk für das wahre, ächte und schöne Deutsch abgesteckt werden. Auch hier wähnte man, die gesellige, allgemeingültige Schönheit gewisser Schriftsteller und Sprecher bestände hauptsächlich in ihrer Reinheit von Provinzialismen oder individuellen Sprachschönheiten aller Art. Demnach, wie in einem Lande, wo bisher ohne allen Plan, blos nach Maaßgabe des unmittelbaren Bedürfnisses, Courant und Scheidemünze geprägt worden wäre und cursirt hätte, und wo nun mit einemmale an gewissen Orten, z. B. bei den öffentlichen Cassen, die Scheidemünze wegen des ihr häufiger anklebenden Schmutzes außer Cours gesetzt würde, eben so glaubte man auch hier den Cours jener Sprachscheidemünze, jener deutschen Provinzialismen und Dialecte wenigstens in den öffentlichen Cassen der Literatur, in den gedruckten Schriften verbieten zu können. An der Spitze dieser Scheidemünztilgungscommission stand ein Dresdner Gelehrter schätzbar, ja verehrungswürdig wegen seltener, wissenschaftlicher Anstrengungen, aber mit der erhabenen Station eines Sprachgesetzgebers, eines Königs der Literatur, die Adelung sich selbst anmaßte, durch seine engherzige, unbeholfene und linkische Natur im lächerlichsten Widerspruche. Nebenbei etablirte sich, noch patriotischer gesinnt, eine andre Commission, welche die Jagd auf die fremden Münzen, welche sich auf den vielfachen, literarischen Märkten unsrer Nation ins Land schleichen mochten, mit unbeschreiblicher Emsigkeit, und die Umprägung solcher Überläufer, da ihnen ein gewisser innrer Gehalt einmal nicht abzusprechen war, mit eben so unbeschreiblicher Eilfertigkeit und Industrie betrieb: Solches Verfahren haben wir eben nicht zu unserm Ruhme dem Dictionnaire de l’Academie und seinen Urhebern entgegen zu setzen. Der Wahn, als läge die Schönheit der Sprache in dem Einmauern und Ausfegen eines gewissen Sprachbezirks, konnte bei einer gemüthsfreien Nation nicht Wurzel fassen: die Autorität des siecle de Louis XIV., unsers damaligen Vorbildes, ward umgestoßen, wenigstens in die wahren Schranken zurückgewiesen: das armselige Verdienst der Correctheit und der mechanischen Politur, dem Schriftsteller wie Engel alle ihre innere Energie aufgeopfert und dafür allen ihren kurzen, eben nicht beneidenswerthen Ruhm erlangt hatten, ward von der Nation nicht weiter honorirt; die einzelnen Dialecte wurden sogar für sich in Meisterwerken, welche die Literatur ohne sich selbst zu ver- <11:> nichten nicht zurückweisen durfte und von denen ich nur Johannes Müllers Schweizergeschichte, Vossens niedersächsische Idyllen und Hebels vortreffliche allemanische Gedichte nennen will, ausgebildet und es dauerte eine ganz kurze Zeit, so begriff jeder Schulknabe, daß weder die Schönheit der Rede in der blosen correcten Wahl der Wörter und Wendungen, noch die Schönheit der Poesie in der blosen Bilderwahl bestehe.
Worin besteht sie denn? – Übersehen Sie nicht, daß ich hier nur gegen die falsche und absolute Beschränkung der Freiheit der Sprache gesprochen habe. Jeder Mensch fühlt in der Gesellschaft den Unterschied zwischen einem genirten und zwischen einem durch Maaß und Tact edel beschränkten Betragen. Also muß er auch im Leben wie in Literatur und Kunst und allenthalben den Unterschied zwischen eleganter, vornehmer und so häufig noch dazu genirter Nullität und zwischen kraftvoller, geselliger Schönheit fühlen. Lassen Sie uns also das ganze Geheimniß der Sprachschönheit nach dem Schema unsers Gegensatzes von geselliger und individueller Schönheit mit besondrer Rücksicht auf die deutsche Sprache zusammenfassen. In einem großen Lande, wie Deutschland, das noch dazu seine Wurzeln in alle übrige Ländern Europa’s, ja der Welt ausbreitet, wird sich nothwendig gegen den Mittelpunct hin eine mittlere, allgemeiner verständliche Mundart der Sprache bilden; gegen die Grenzen hin, da wo die Ströme und Gebirge der Nachbarn einwirken, werden sich besondere und abweichende Formen der Sprache (Dialecte) bilden; auch der Ton wird sich gegen die Grenzen hin immer mehr und eigenthümlicher und abweichender individualisiren, dahingegen derselbe im Mittelpunct zwischen den Extremen an den Grenzen das Mittel halten wird. Die Sprache wird gegen die Mitte hin mild, elegant, gesellig-schöner gegen die Grenzen hin, kräftig, rauh und individuell schöner erscheinen. Und so giebt es allerdings in der Richtung von Meißen, Thüringen bis Nürnberg, im Herzen von Deutschland eine mittlere, geselligschöne Mundart, das Hochdeutsche, die Sonne gleichsam, von der die individuellen Schönheiten der Dialecte, die sich wie Planeten um sie her bewegen, ihr Licht empfangen, die demnach auch Schriftsprache insonderheit sein mag. Aber vergessen wir doch nicht, daß die Sonne auch wieder die Planeten nicht entbehren kann, und daß der Geist des Lebens nicht allein in der Sonne, sondern in dem Verhältniß, in dem Bunde, in der gemeinschaftlichen, rhythmischen Bewegung zwischen Sonne und Planeten, liegt. In ewiger gegenseitiger Einwirkung möge die Kraft von den Grenzen her auf den Mittelpunct einströmen, und die Klarheit und das Licht wieder vom Mittelpunct auf den Umkreis zurückströmen. Nicht umsonst liegt das ganze Geheimniß der Schönheit und des Lebens in sehr vernehmlichen Zügen eingeschrieben in die Sternenwelt: das Sonnensystem in seiner Bewegung gedacht, ist ewiges Muster aller irrdischen Geschäfte, der Philosophie, der Sprachkunst, der Staatskunst und aller Künste: und hiermit sei die häufige Wiederkehr dieses, nicht Gleichnisses, sondern bestimmten Vorbildes von Sonne und Planeten in meinen Darstellungen gerechtfertigt. <12:>
Das Leben und die Schönheit der Sprache liegt also nicht in der geselligen Schönheit im Mittelpuncte allein, nicht allein in der individuellen Schönheit an den Grenzen, welche die correcten Leute häßlich nennen und andre jugendlich ausschweifende Schwärmer in der Sturm-, Drang-, Ritter- und Kraftgenieperiode unsrer Literatur für die einzig schöne ergriffen, sondern sie liegt in der unaufhörlichen liebevollen Wechselwirkung zwischen geselliger und individueller Sprachschönheit, zwischen dem Hochdeutschen und den Dialecten, zwischen den adlichen und bürgerlichen Wörtern und Sprachwendungen, zwischen dem Sprachcourant und der Sprachscheidemünze. Wollen sie diese harmonische, vermittelnde Bewegung in einer ergreifbaren körperlichen Gestalt auf einen Augenblick fixirt haben, wie ich sagte, daß der Homerische Rhythmus später in dem Jupiter des Phidias und in dem Laokoon festgestellt worden sei, so bilden Sie sich das Ideal eines deutschen Redners in Wort und Klang, der allen Stämmen der Deutschen bis an den Umkreis verständlich wäre und zugleich ihrem Ohre und Gemüth vaterländisch, heimlich, kraftvoll, treuherzig und doch anmuthig zusagte, von welchem aber niemand nach Klang und Wort urtheilen könnte, daß er in dem und dem bestimmten Winkel von Deutschland geboren, sondern überhaupt nur gesagt werden könnte, daß er ein Deutscher sei. So etwas kann es dereinst geben in einem geistesfreien Lande, dem der Himmel ein sichtbares Centrum der geselligen Schönheit, eine Hauptstadt, d. h. eine wirkliche vollständige Nationalexistenz nicht eher geben will, als bis es sie durch ungeheure Leiden, und durch Erfahrungen von allen Extremen des Lebens und des Schicksals, vor allem aber durch tiefen Gemeingeist, der weder Sprache, noch Poesie, noch Sitten, noch Individualitäten, noch Wissenschaften durch Academie, vornehmen Ton oder tyrannische Gesetzgebung irgend einer Art unterjochen will, vollständig verdient hat. – Wer sagt mir nun, ob der in’s Ideal gezeichnete Redner gesellig schön, oder individuell schön sei? Er ist beides allen verständlich, weil er alle versteht; von allen geliebt, weil er alle, jede vaterländische Eigenthümlichkeit zu lieben versteht. Und hier ist nur von denen gesprochen, die in Holstein oder den demokratischen Cantonen der Schweiz seine Zeitgenossen sind: was hindert uns, ihn zu denken, daß er eben so verständlich inmitten der vergangenen und der nachfolgenden Generationen stände, daß die individuelle Redeschönheit des großen vorangegangenen Luther, und die andre individuelle eines ihm in künftigen Zeiten nachfolgenden Autors, durch seine gesellige Schönheit vermittelt würde. Ist dies Ideal für den Redner zu hochgestellt, so gilt es wenigstens für die Sprache und den Sprachgeist; so muß sie werden, so muß sie wenigstens immer mehr werden.
Es ist falsch und abermals falsch, daß wir um so viel an unsrer Eigenthümlichkeit verlöhren, als wir an Geselligkeit, Allgemeingültigkeit und Universalität gewönnen, im deutschen Sinne der Worte: es ist wahr und abermals wahr, daß wir eben so viel an unsrer kräftigen Eigenthümlichkeit verlieren, als wir an geselliger Nullität, Eleganz und Correctheit im altfranzösischen und Adelung-Engelschen Sinne der <13:> Worte, gewinnen. Hemmt das Fortleben der Schönheit nicht, und wenn ihr auch das bestimmteste, herrlichste, göttlichste Schöne gefunden habt, so werdet ihr ohne Ende eure Herrschaft im Reiche der Schönheit erweitern, ohne doch von eurem alten Eigenthum, oder eurer alten Eigenthümlichkeit zu verlieren. Und somit wäre auch der pädagogische Sprachmünzmeister abgefertigt! Laßt doch die fremden Worte herein, wenn sie das lebendige Schönheitsgesetz der deutschen Sprache annehmen. Alle Europäischen Sprachen, ja alle Sprachen der Welt sind ja nur Dialecte einer Grundsprache der Menschheit; die wirthbarste, zugänglichste, gastfreiste (unter diesen Sprachen und in ihrer Mitte) wird dereinst die wahre Mittelmundart werden für alle: das Land, welches diese Sprache reden, welches den Redner, und mehr als Redner, aufstellen wird, den wir uns oben einbildeten –, dieses Land wird auch Hauptstadt der Welt werden dereinst, in meinem milden und aller Freiheit günstigen Sinne des Worts! –

Emendation:
Unterschied] Unterchied D


[ PHÖBUS(3) ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 30-Mär-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]